Hähnchenschenkel als Schweinkram

■ Nach dem „Fleischbericht“ der Verbraucher-Zentrale: zornige Kunden     Von Peter Behrendt

Lustig flattert der kleine Spatz über die Köpfe der Leute. Dann ein kleiner Schwenk nach rechts: schon sitzt er auf einem Stahlträger. Diese Szene spielt sich nicht im Freien ab, sondern in einem großen Supermarkt auf St.Pauli. Hier scheinen einige unserer kleinen gefiederten Freunde einen optimalen Lebensraum gefunden zu haben, denn fröhliches Zwitschern erschallt über den Köpfen der Kundschaft. Daß es den Tierchen gut geht, ist durchaus zu verstehen: liegt das Gute doch so nah. In unmittelbarer Nähe Köstlichkeiten in Regalen und Tiefkühltruhen.

Nicht besonders appetitlich dagegen die Vorstellung, daß sich die Vögelchen schon an demselben Hähnchenschenkel gelabt haben, der zu Hause in der Röhre brutzelt. Oder daß die gefiederten Freunde hier ja auch ihre „Geschäfte“ verrichten: in die Kühltruhen etwa?

Danach gefragt, reagiert der Marktleiter des Supermarktes ziemlich unwirsch: „Fragen beantworte ich nicht, wenden Sie sich an die Verwaltung in Frankfurt“. In Frankfurt ist aber niemand für die Zustände in diesem Supermarkt verantwortlich, zumindest heute nicht: „Probieren Sie es morgen!“

Der Untersuchungsbericht der Verbraucher-Zentrale Hamburg „Zur Qualität von Fleisch im Lebensmitteleinzelhandel“ – gestern vom „Stern“ veröffentlicht – hat offensichtlich vor allem die Verantwortlichen der Supermärkte nervös gemacht: In den Zentralen der großen Ketten war niemand zum Gespräch bereit. Oder die Verantwortlichen waren gerade abwesend.

„Das ist doch alles eine Riesensauerei. Ich bin wirklich empört. Wenn ich das nächste Mal Fleisch einkaufe, gehe ich zum Schlachter in die Bernstorffstraße – da bin ich mir irgendwie sicherer.“ Renate Wiese hält eine große Tüte im Arm, sie ist erbost. Sie hat von den „Schweinereien“ gehört, wird „wohl weniger Fleisch essen“. Wie sie denken heute viele Menschen. Horst Goercke, ein älterer Herr, der auch gerade aus dem Altonaer Riesen-Supermarkt kommt, findet, daß „die Kontrollen verschärft werden müssen“. Er habe auch schon Hähnchen gekauft, „die nicht in Ordnung waren. Das ist doch Schweinkram. So etwas darf nicht sein, daß das alles über die Bühne geht, ohne daß etwas getan wird.“

Einige Leute reagieren aber auch wie die alte Dame vor dem Geschäft in Eimsbüttel: „Wissen Sie, ich habe schon so viel gelesen und gehört, wenn es danach ginge, dürfte ich gar nichts mehr essen – aber ich kann ja nicht nur von der Luft leben“. Sie hat weder von der Untersuchung gehört, noch wird sie darauf verzichten, „hin und wieder“ Fleisch zu essen. Aber: „Ich halte eben meine Augen auf; was nicht gut aussieht, kauf' ich nicht“.

Diesen Tip gibt auch die Hamburger Verbraucher-Zentrale. Die Ernährungsberaterin Gabriele Linder, die hier KundInnen berät, hat heute alle Hände voll zu tun: „Das Telefon geht unaufhörlich, der Bericht hat eine Menge Staub aufgewirbelt“. Über Jahre gab es immer wieder Beschwerden von KundInnen: „Für die Verbraucher-Zentrale war es nun an der Zeit zu untersuchen, wie schlimm es wirklich ist“.

Es ist schlimm. Über 80 Prozent der untersuchten Proben hätten nicht mehr verkauft werden dürfen. Für die Verbraucher-Zentrale liegt das Problem bei den Anbietern, den Supermärkten. „Die Kontrollen und Untersuchungen müssen hier verstärkt durchgeführt werden. Hier wird die Ware verkauft, und hier fanden sich die vergammelten Proben“, so Gabriele Linder. Da helfe auch kein Gütesiegel Handelsklasse A: „Das Fleisch hat den Produzenten vielleicht frisch verlassen. Der Umgang mit der Ware im Supermarkt war nicht sachgerecht“. So werden zum Beispiel Hähnchen in Tiefkühltruhen angeboten, die nicht die vorgeschriebene Temperatur von mindestens minus 15 Grad haben.Gabriele Linder rät, die „Augen offen zu halten, oder noch besser, den Fleischkonsum stark zu reduzieren“.

Heute ist übrigens Vegetariertag.