Istrien: Friedlich, aber fast voll

Die Urlauber kehren in die kriegsfreie Zone an der kroatischen Adriaküste zurück  ■ Igal Avidan

Mein Kroatienurlaub hat mit einem Reise-Artikel Ende Juli begonnen. Er erzählte von leeren Stränden, Hotelbetten und Restaurants in einer vom Krieg völlig verschonten kroatischen Region Istrien. Er versicherte, daß im „glasklaren Wasser“ der Adria nur wenige Gäste schwimmen, die herrliches Panorama genießen und fast umsonst „wie ein König“ leben: ein Abendmahl für 11,70 Mark, ein Doppelzimmer im Hotel mit Frühstück für etwa 40 Mark. Und mit einem Flugzeug komme man direkt vom kalten und regnerischen Berlin ins sonnige Pula, die wichtigste Stadt dieser Region.

In der kroatischen Zentrale für Tourismus in Frankfurt ist man so freundlich, daß mein Traum immer realistischer scheint: der einzige Tourist zu sein. Meine Euphorie bekommt auch im kroatischen Konsulat Nachschub. Als Israeli brauche ich ein Visum, aber das wird in ein paar Minuten und mit einem großen Lächeln erledigt. Die Mitarbeiterin freut sich doppelt: erstens, daß ich ihr Land besuche, aber mehr, daß ich nicht am selben Tag fahre. „Heute ist nicht nur der 13., sondern auch ein Freitag, und wir glauben an solche Sachen“, ermuntert sie mich.

Mit keinem Lächeln werde ich hingegen im Reisebüro empfangen. Die junge Dame ist mißtrauisch und neugierig. Nach ein paar Minuten will sie wissen, warum ich ausgerechnet nach Kroatien fahre, wieso ich auf die Idee komme, gerade dort Urlaub zu machen, ob ich Kroatisch könne (nein) oder Bekannte dort habe (nein). „Und warum interessieren Sie sich so?“ versuche ich auch meine Neugier zu befriedigen. „Ich bin Serbin.“ – „Und wo haben Sie Ihren Urlaub gemacht?“ – „An der Küste Montenegros.“

Schon in Berlin erweist sich die Ungenauigkeit des Reise-Artikels. Nach Pula kann man natürlich fliegen, aber nicht von Berlin. Kurz vor dem Kriegsausbruch wurden auch alle Charterflüge eingestellt. Aber mit „Air Croatia“ kann man schnell über Zagreb die Küste erreichen. Nicht so schnell: denn der tägliche Flug nach Pula verläßt Zagreb, kurz bevor die Maschine aus Berlin in Zagreb landet. Man kann natürlich nach Triest in Italien fliegen, aber niemand weiß, ob es eine Verbindung nach Kroatien gibt. Es herrsche doch Krieg, wird mir bei der Auskunft am Bahnhof Zoo erklärt.

Also fliege ich mit der Lufthansa über Frankfurt nach Zagreb, dann mit noch dreizehn Passagieren in einem kleinen Flugzeug die kurze Strecke an die Küste. Als die üblichen Sicherheitsvorkehrungen vorgelesen werden, höre ich diesmal genau zu. Es war wohl Samstag, der 14., aber immerhin Ex-Jugoslawien.

Kein einziger Bus verbindet den Flughafen mit der etwa zwölf Kilometer entfernten Stadt von 60.000 Einwohnern, der größten in Istrien. Es hat mal einen Bus gegeben, vor dem Krieg. Also Hochsaison ohne Massentourismus, vertröste ich mich, als ich in ein Taxi steige.

Der Fahrer ist nett, aber ein bißchen verblüfft. Ein schönes Hotel für 20 Mark pro Person mit Frühstück. Die erste Überraschung erwartet uns im Park Hotel. Es ist voll besetzt. Ein anderes 3-Sterne- Hotel gegenüber ist fast voll und kostet 55 Mark pro Nacht. Schließlich lande ich im Appartement- Hotel „Horizont“ für 32 Mark, was mich auch die kurze Taxi-Reise kostete.

Auf frischen Tintenfisch mit einem Viertel Wein, Salat und die Palatschinken will ich nicht verzichten. Die gibt es bei Jelovnik auf der großen Terrasse am Strand. Auf der Speisekarte entdecke ich sogar einen „serbischen Salat“.

Ein Zeichen der politischen Entspannung? „Das haben wir nicht“, murmelt der überraschte Kellner. Was für ein Salat das ist? „Oh, etwas Gemischtes“, er scheint überfordert. Der Tintenfisch ist frisch, und auch die Pfannkuchen schmecken lecker. Aber für über 25 Mark ist Kroatien längst nicht wie versprochen der billigste Urlaubsort in Europa.

Im Appartement-Hotel sind von den 800 Betten „nur“ 680 besetzt, 50 von deutschen Gästen. Waren es dann die Kroaten, die die ganze Nacht lauthals feierten? Die Hotel-Leitung versichert mir, daß ich der glücklichste Mensch sei, denn für die nächste Woche seien alle Plätze schon besetzt. Statt dessen frage ich höflich, wo es bitte keine Hotels gebe. „In Premantura“, so die knappe Antwort.

Hotels gibt es in diesem kleinen Dorf (10 Kilometer entfernt) tatsächlich nicht. Dafür ein Dutzend Campingplätze und viele Privatzimmer. Tagsüber sind alle Urlauber (die meisten sind Italiener) am Strand, nachts füllen sie die Restaurants und Cafés um den einzigen Dorfplatz, wo der Bus nach Pula achtmal am Tag hält.

Ruhig ist es in Premantura, auch die Preise sind niedriger als woanders in Istrien. Ein Zimmer kostet 16 Mark, wenn man mindestens drei Nächte bleibt. Sonst sind es etwa 20 Mark, genausoviel kostet ein großes Abendessen. Für das Frühstück verlangt man 7 Mark dazu.

Keine Granaten schlagen hier ein, aber bei den Einwohnern ist der Krieg trotzdem stets präsent. Bei Frau Bosnjak treffen sich zwei Familien aus Mostar. Die Loncars und die Udovici haben sich erst hier auf der Flucht getroffen. Man zeigt Fotos aus der Heimat. „Unser Schatz“, nennen sie es und zeigen fröhliche Gesichter von der letzten Weihnachtsparty in Dubrovnik: ein Serbe, ein paar Kroaten und Moslems. „Es war eine schöne Illusion“, sagen sie. „Bis vor dem Krieg wußten wir gar nicht, wer zu welcher Nationalität gehört.“

Herr Goran Gasparac, der Leiter des Büros für Tourismus, sagt, daß die Hotels in ganz Istrien fast voll sind. Er beklagt sich nur darüber, daß Reiseveranstalter die Idylle nicht wahrhaben wollen. Deswegen werde Istrien aus vielen Katalogen gestrichen. Bei „Arena Tourist“, dem staatlichen Touristriesen, sind etwa 5.000 von insgesamt 8.500 Betten besetzt, Tendenz steigend. In diesem Jahr zählt man etwa 700.000 Übernachtungen, allein 500.000 im Juli und August. Insgesamt kamen bis Ende Juli 823.000 ausländische Touristen nach Kroatien, 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

Auch die deutschen Touristen sind wieder da, bestätigt Angica Ronji aus dem Frankfurter Büro. In den ersten sechs Monaten kamen 450.000, mehr als doppelt soviel wie im Jahr zuvor. „Die meisten sind Stammkunden und kommen mit ihrem eigenen Wagen.“

Auf Mali („das Kleine“) Losinj, einer der 66 ständig bewohnten Inseln (insgesamt sind es 725), treffe ich die Hosemanns aus München, die seit Jahren hierherkommen. Diesmal haben sie sich bei ihren Freunden am Ort erkundigt, die bestätigten, es gäbe keinen Krieg hier. Also kamen sie.

Die Deutschen sind in Kroatien fast so beliebt wie ihre D-Mark. Die schnelle Anerkennung vergißt man hier nicht, und Genscher ist sicherlich beliebter als Tudjman. Trotzdem kann diese Liebe manchmal peinlich sein: An einem Souvenir-Stand in Pula entdecke ich ein T-Shirt des ehemaligen faschistischen Diktators Ante Pavelić, der unter Hitler ein „unabhängiges“ Kroatien führte. Der junge Verkäufer läßt sich sehr gern mit dem T-Shirt fotografieren. Dann entschuldigt er sich, daß er meine Größe nicht mehr hat. Als er Pavelić laudiert, lobt er auch Deutschland als „Number 1“. Auf dem zweiten Platz stehen die Italiener. Die Briten und Franzosen kommen als letzte.

Dreieinhalb Stunden dauert die Fahrt von Pula bis Mali Losinj, eine der nordöstlichsten Inseln. Schlauchboote der Marine begleiten unser großes Schiff. Nur ein paar Dutzend Touristen sind an Bord, und die herrschende Sprache ist Italienisch, da die Italiener am lautesten sind.

„Ich merke den Krieg in meinen Hosentaschen“, sagt der Leiter einer Pizzeria in Losinj, der größten Stadt (7.000 Einwohner). Früher gab es nie Kontrollen; jetzt kommen die Inspektoren vom Finanzamt manchmal zweimal am Tag. Zu den normalen Abgaben kommt jetzt eine neue „Kriegssteuer“ von 5 Prozent hinzu. Und auch die hohe Inflation, 25 Prozent pro Monat, macht es schwierig. Die Tourismusindustrie findet Wege, Zagreb zu umgehen. Erst kommt das Geschäft, dann der Patriotismus.

Auf Susak, eine halbe Stunde von Mali Losinj entfernt, kann man sich richtig entspannen. Es gibt keine Straßen, keinen Verkehr, weder Hotels noch Discos – nur ruhige Strände und einen Haufen Touristen. Viele Kroaten aus Zagreb und den USA haben hier Sommerhäuser gekauft. Von Mai bis August zählt die Bevölkerung hier also etwa 1.000; im Winter nur 170.

Mitten in der Nacht knallt es plötzlich zweimal. Hat der Krieg mich doch erreicht? Ich höre kein Geschrei, also gehe ich zurück ins Bett. Am nächsten Morgen gibt man die beruhigende Erklärung: es waren nur Nato-Flugzeuge auf dem Weg zurück von Bosnien, die die Schallmauer durchbrachen.

In Istrien ist die Normalität fast zurückgekehrt, wie auch ein Großteil der Touristen. Der Krieg bedroht die Touristen nicht, erschwert nur das Leben der Einheimischen. Meine Gastgeber sprechen gerne darüber, aber nur als Antwort auf meine Fragen.