■ Michael Jürgs
: Totschweigen oder entlarven?

So wie es in vergangenen Zeiten keine Alternative zum Wahlspruch „Sex verkauft“ gab, ist in schlechten Zeiten, also diesen, der Rechtsradikalismus, das brennende Ausländerheim, der nazihaft grüßende Skinhead neben der immer noch funktionierenden Verlockung nackter Haut ein probates Mittel jedwedes Magazin zu verkaufen, gesendet oder gedruckt.

Man redet sich bei unsereins, also den Journalisten, gerne damit heraus, es sei geradezu journalistische Pflicht, den alltäglichen deutschen Faschismus in seinen widerlichen Erscheinungsformen zu zeigen: bierdimpelig singende Altkameraden, vollgepisste deutsche Volksgenossen beim Bejubeln eines brennenden Ausländerheims und grölende Horden mit Reichskriegsflaggen. Wer die so sieht, wird doch nicht in Versuchung kommen, solchen Schreihälsen seine Stimme zu geben oder gar, sich öffentlich zm Abschaum zu bekennen.

Geil auf Gewalt gegen Andersdenkende und Andersfarbige sind eben nicht nur die mit der Glatze auf dem Kopf. Geil auf Gewalt ist auch die sogenannte Vierte Gewalt, und da sind es speziell die Macher der verschiedenen privaten Fernsehsender. Denn Einschaltquoten sind ihr täglich Brot, und Terror bringt gute Ratings. Geil auf Gewalt wird geboren aus Unfähigkeit, die gefährliche Faszination der Gewalt zu begreifen, weil viele Journalisten brennende Asylbewerberheime und tote Türken als Nachricht genauso werten wie das kommende kleine Bobele von Boris Becker oder den bunten Anzug von Thomas Gottschalk.

Daß ausgerechnet Gottschalk den Schönhuber präsentierte als nur einen weiteren bunten Vogel im Garten der unterhaltenden Lüste, als sei der schwitzende Schreihals, der ja so stolz ist, bei der Waffen-SS gewesen zu sein, einfach ein netter Mensch wie du und ich, hat enorm dazu beigetragen, die Republikaner hoffähig zu machen. Wenn schon unser Goldjunge Tommy den Schönhuber einlädt als sei er ein x-beliebiger Roland Kaiser, ja warum soll ich braver Bürger den braunen Heerführer nicht wählen? Wer Nazis als nette Opas von nebenan zeigt, macht sich an ihrem Erstarken mitschuldig.

Viele gewaltige Tätige der Vierten Gewalt haben mit dafür gesorgt, daß die Gewalt enttabuisiert wurde. Und als die braunen Horden anfingen zu morden stießen sie in diese tabufreie Zone. Wo keine Werte mehr gelten, wird auch in der Auswahl der zu zeigenden Wirklichkeit nicht mehr gewertet. Der blutige Überfall von Hünxe ist heute schon vergessen, wenn es in Mölln viel schöner brennt.

Wer diese Typen einlädt, auch noch für ihren radikalen Schwachsinn bezahlt oder Gewaltszenen nachstellt - wie geschehen - und dann noch unkommentiert schwafeln läßt, der ist mitschuldig an dem, was in den letzten Jahren in Deutschland passiert ist. Die Vierte Gewalt ist zum Komplizen der Gewalt geworden.

Totschweigen also? Die Untaten der Neonazis sollten schon ausführlich geschildert werden. Aber es wäre endlich angebracht, Kampagnenjournalimus zu betreiben. Eine Kampagne für doppelte Staatsbürgerschaft ist nicht nur politisch eine wichtige Entscheidung für den Rest des Jahrtausends, sondern auch eine durchaus auflagenträchtige Sache. Das Positive wird als ganz normaler Vorgang propagiert, denn wenn erst einmal die Ausländer, die schon lange hier leben, die deutsche Staatsbürgerschaft und damit das Wahlrecht bekommen, muß man sich um den Einzug rechtsradikaler Parteien in die Parlamente nicht mehr so viele Gedanken machen.

Natürlich hat keine Zeitung, hat kein Sender, sich im Hamburger Wahlkampf des Verdachtes schuldig gemacht, mit den neuen Radikalen zu sympathisieren. Aber indem man sie bekämpft, macht man sie bekannt. Wäre es nicht eine Überlegung wert gewesen – bei Kindesentführungen klappt das ja auch immer wieder – ein Kartell des Schweigens zu verabreden? Einfach zu beschließen, wir berichten nichts, aber auch gar nichts über die Rechten, wir nehmen sie einfach nicht wahr und wenn, nur dann, wenn sie brandschatzen, prügeln oder grölend durch die Straßen ziehen, also abstoßend wirken? Wäre es nicht als Denkmodell erlaubt, anzuregen, daß weder Parteiprogramme noch Parteitage der Rechten in unseren Medien beachtet werden?

Die Argumente dagegen sind bekannt: Der Journalist sollte berichten und nicht verschweigen, was ist. Aber wohin haben die Reportagen und Warnungen und Empörungen geführt? Daß die Zahl der Gewalttäter gestiegen ist, daß die Rechte erstarkt ist, daß sie durch dauerndes Vorführen im Fernsehen an Reiz gewonnen hat, ja den demokratischen Anstrich bekommen hat, Teil des normalen Lebens zu sein, und dadurch ihre Anhängerschar noch vergrößert hat. Also sollte doch der Umkehrschluß Sinn machen, daß Totschweigen den Effekt haben könnte, daß die Neonazis an Faszination verlieren und in der braunen Ecke, in der sie sind, unter sich bleiben.

Ein paar erhellende Kommentare allerdings könnten das Totschweigen schon begleiten. Beispielsweise habe ich keinen Bericht über die deutsche Justiz gelesen, in der Urteile über Täter aus der linken Szene oder rechten Szene verglichen wurden. Wenn Autonome aus der linken Szene fünf Jahre Haft dafür bekommen, daß sie 1988 ein Materiallager der Firma Renault abgefackelt haben, Menschen übrigens kamen nicht zu Schaden, und rechte Skinheads für Brandstiftung an Ausländerheimen zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung, dann fiele mir schon manches dazu ein.

Da wir in einer Medienwirklichkeit leben, also das für wahr und bedeutend empfinden, was veröffentlicht wird, hat der Journalist in solchen Zeiten auch die Pflicht, nicht nur heiße news auszugraben. Es gibt auch eine gesellschaftliche Verantwortung des Journalisten. Und weil das so ist, kommt es darauf an, über Strategien nachzudenken, den Rechten das Handwerk zu legen. Dazu allerdings müßte man zumindest sein Handwerk als Journalist und nicht nur die Kunst beherrschen, Einschaltquoten zu lesen.