Der deutsche Beamte als effizienter Dienstleister

■ Engagierte Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes wollen das System umbauen

Berlin (taz) – Die Gesellschaft ist wie ein Mobile. Wenn ein einziges Teilchen angestoßen wird, geraten alle anderen in Bewegung. Genau dies ist für den sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf mit der Vereinigung in Deutschland geschehen. Der Grundirrtum der westdeutschen Mehrheit ist, daß der Osten sich einfach eingliedern ließe, ohne die Verhältnisse im Westen grundlegend zu verändern. Aber die entscheidende Grundlage für das Funktionieren des westdeutschen Wohlstandsmodells ist spätestens seit dem 9. November 1989 hinfällig: Problembewältigung durch Verteilung des Wachstums funktioniert nicht mehr.

Die Funktionsweise der öffentlichen Institutionen muß unter dem Diktat knapper Finanzen und dramatisch wachsender Problemberge grundlegend geändert werden. Die Reformträgheit, die veränderungsfeindliche Immobilität der westdeutschen Institutionen sind das innenpolitische Problem Nummer eins, meinte der CDU- Politiker und Kanzler-Kritiker am Wochenende in Berlin auf einem Kongreß über „Veränderungsstrategien im non-profit-Bereich“. Aber gerade dieses sture Beharrungsvermögen staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen hat bei den engagierteren unter den Beschäftigten einen Leidensdruck erzeugt, der zu Taten drängt. Das Kongreßbüro mußte die Hälfte der Interessenten wegen Überfüllung abweisen.

Wie kann die öffentliche Verwaltung, wie können nichtstaatliche Verbände, gemeinnützige Vereine aus ihrer Erstarrung geweckt werden, wie kann die Arbeit mit gleicher oder geringerer finanzieller Ausstattung effizienter, problemadäquater geleistet werden? Viele engagierte Menschen aus den öffentlichen Verwaltungen sehen in der „freien Wirtschaft das Land ihrer Sehnsucht“, ein Ort der Kreativität, der dynamischen Veränderung, der Freiheit und des Erfolgs. Dort sorgt der Markt, der Zwang zum wirtschaftlichen Erfolg, für einen permanenten Veränderungsdruck, der im öffentlichen Bereich fehlt. Dort sehen sie bloß Immobilität, Unfreiheit, Verwaltungsvollzug und Resignation.

Aber die Sehnsucht nach jenem fernen Land, sagt die Berliner Organisationsberaterin Cornelia Edding, beruht zum gewissen Teil auf Projektion: Was man am eigenen Arbeitsplatz schmerzlich vermißt, wird der freien Wirtschaft zugeschrieben.

Vieles wäre möglich, auch ohne das schnöde Profitmotiv in Reinkultur auf alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung zu übertragen. Klaus Doppler, Experte für Organisationsentwicklung aus München, glaubt nicht mehr an programmatische Proklamationen über die „Reform des Öffentlichen Dienstes“. Er setzt auf Veränderungen an der Basis.

Projektarbeit, Dienstleistung als Produkt, Kundenorientierung, finanzielle Eigenverantwortlichkeit – das sind einige der Schlüsselworte seiner Reformstrategie, wobei einengende Vorschriften, etwa das Beamtenrecht oder das Haushaltsrecht, auch mal durch „stillschweigende Übereinkunft der verantwortlichen Politiker und Verwaltungsleute unterlaufen werden müssen“. Als Beispiel einer gelungenen Reform führt er die Bäderverwaltung in Nürnberg an. Auch dort stand am Anfang die Finanzknappheit. Aber man habe darauf nicht wie üblich durch Einschränkung der Dienstleistungen reagiert, sondern durch Delegation von finanzieller Eigenverantwortlichkeit. Der Erfolg: um die Einnahmen zu verbessern, verlängerte das Bäder-Management die Öffnungszeiten.

Eine Schlüsselrolle bei derartigen Reformbemühungen spielt die politische Führung, die einerseits Verantwortlichkeit delegieren, andererseits klare Leistungsanforderungen definieren muß. Unter einem solchen Aspekt mag es auch seinen Sinn haben, wie die Berliner Sozialsenatorin Ingrid Stahmer von der „Ware Gesundheit“ zu sprechen: als politisch definierte Anforderung an die Qualität der Dienstleistungen des Gesundheitssystems. Martin Kempe