Dinos im Medienpark

■ Ein Gespräch über Hörkunst im allgemeinen und "Ear Cleaning" im besonderen

Gute Nachrichten vom SFB 3! Sabine Breitsameter, Radiomacherin aus Leidenschaft, wird ab heute jeden ersten Montag im Monat von 23 bis 24 Uhr die Tiefen der Radiokunst ergründen. Titel: „Ear Cleaning“. Eine begrüßenswerte programmpolitische Entscheidung des Senders, die zumindest hier der fortschreitenden Vereinheitlichung des akustischen Raums einen kleinen Riegel vorschiebt. Die Autorin ist eine Hörkunstenthusiastin mit Vergangenheit: Gesangsausbildung, Auftritte im avantgardistischen Musiktheater und eigene Radioproduktionen. Auch wissenschaftlich arbeitete die Dame über die Grenzbereiche zwischen Hörspiel und neuer Musik.

taz: Frau Breitsameter, wir beide haben uns bereits als Hörkunstfans geoutet und wissen, wovon wir reden. Aber für viele sind wir die Dinos im Medienpark. Deshalb zur Erklärung: Was ist Radiokunst?

Sabine Breitsameter: Das ist ein bewußt offengehaltener Begriff. Radiokunst ist ein oszillierendes Gebilde, das sich im Grenzbereich zwischen Performance, neuer Musik, bildender Kunst, Hörspiel und Literatur abspielt. Als Material haben Geräusch, Klang und Sprache gleichberechtigte Rollen.

Wen wollen Sie mit Ihrer Sendereihe erreichen?

Ich wende mich zunächst mal an abenteuerlustige Menschen. Und an die, die sowieso gerne Hörspiel hören. Eine weitere Gruppe sind die Leute, die ohnehin kunst- und kulturinteressiert sind. Die in Galerien und Off-Theater gehen und die alternative Kunstszene abgrasen. Ich will mit meiner „Radiokunst“ versuchen, das, was dort passiert, mit ins Medium hineinzutransportieren.

Wo bleibt die Angst vor dem gängigen Elite-Vorwurf?

Natürlich möchte ich so viele Menschen dafür gewinnen, wie es nur irgendwie geht. Und ich glaube auch, daß das möglich ist. Denn was das „Elitäre“ betrifft, Radiokunst ist doch ein weites Feld. Das kann doch zum Beispiel auch bis zur Popmusik gehen. Nehmen wir doch mal Frank Zappa. In einer seiner letzten CDs ist das Radiokunst, was der da macht. Oder Jimmy Hendrix ... ja, und die „Tödliche Doris“. Das ist keinesfalls eine bierernste Angelegenheit, sondern ironisch gegen den Strich gebürstet. Insofern denke ich auch, daß Radiokunst Lust macht. – Vorausgesetzt, er nimmt sich Zeit. Nur mal kurz das Ohr aufklappen, das bringt natürlich nichts.

Ich frag' jetzt mal was ganz Böses: Warum überhaupt Radiokunst?

Ja, wir müssen uns mal vor Augen, besser, vor Ohren halten, daß wir in einer Gesellschaft, die das Nichthören, das Nichtwahrnehmen der akustischen Welt zu einer Art Prinzip erhoben hat. In der die ganzen Schallereignisse, die uns umschwirren, doch völlig zufällig sind. Die wenigsten sind geformt, wie in der sichtbaren Welt.

Ist das der Freiraum für die Radiokünstler?

Was die Radiokunst will oder was ich damit anstrebe, ist, das Medium für diese immense Sinnlichkeit wieder zu öffnen. Unsere Zivilisation drängt zum Bild und zum Begriff. Akustische Kunst kann genau in diese Unschärfebereiche reingehen, in denen das Bild sich auflöst, der Begriff zu oszillieren beginnt. Das ist die Stärke allen akustischen Materials. Damit kann man „Schwerhörigkeit als Überlebensprinzip“ entgegenwirken.

Drum auch der Untertitel Ihrer Sendereihe: „Ear Cleaning“. Hat das monatliche Ohrenputzen eine Chance?

Ja, Kultur gründet doch immer auf Hoffnung.

Eine Kritikerin schrieb letztes Jahr in der taz, RadiomacherInnen seien die Leute, die noch an das Gute im Menschen glauben. Na?

Oh Gott (lacht), das ist natürlich ... das Gute im Menschen! Idealismus ist natürlich ein wichtiger Aspekt. Aber man sollte auch mal das Umfeld sehen, in welchem die Kunst steht, die man ins Radio trägt. Zum Beispiel die Performance Art. Da fällt doch auf, wie spielerisch das oft zugeht, wie unernst. Wie schräg das ist, wieviel Humor in diesen Sachen drinsteckt. Das alles findet man auch in der Radiokunst.

Welche KünstlerInnen stellen Sie vor?

Beispielsweise Ronald Steckel, der Radiokünstler, Thomas Schulz, Mayako Kubo, eine japanische Komponistin, die hier in Deutschland arbeitet, und Martin Daske. Damit manifestiert sich auch ein schönes, breites Spektrum von Radiokunstkonzepten.

Wichtige Produktionen des SFB stehen als erstes auf Ihrem Plan. Soll das Ganze ein Heimderby des Senders werden?

Wir müssen ja klein anfangen. Das heißt, zuerst wird gesichtet, was hier schon mal produziert wurde. Die wichtige Zeit des Berliner Hörspiels zwischen 1982 bis 1986, und danach wird aufgearbeitet. Dann sollen natürlich auch Impulse von außen gehört werden. Es gibt sehr interessante Erscheinungen in den USA und Kanada. Es geht mir auch darum, eine angemessene Sprache zu finden, über eine sinnliche Kunstform zu reden.

Mal zur Ästhetik: Sind die Lager der aktuellen Hörkunst ähnlich gespalten wie die im großen Kulturbetrieb? In – grob gesagt – „Wertkonservative“ und „Spätmoderne“?

Es gibt meiner Meinung nach viel zuwenig ästhetische Auseinandersetzung in dem Gebiet. Die Diskussion verläuft eher politisch. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in einer höchst prekären Situation. Es geht ums Überleben des Hörspiels. Da gibt es viele konträre Meinungen, mit welchen Mitteln man dies erreichen kann.

Es kursiert auch die romantische Ansicht, der Finanzdruck könnte AutorInnen anspornen.

Das halte ich für zweckoptimistisch. Der Finanzdruck behindert das kreative Engagement. Zudem verunsichert er die Künstler. Gespräch: Gaby Hartel