Anecken mit gerollten Steinen

■ Gesichter der Großstadt: Der "Landschaftsbewohner" Rolf Tepel rollt seit Jahren mit seinen Steinen gegen das Spießertum und das eingegrenzte Leben an

Der Vollmond ist der einzige, der Rolf Tepel in der Nacht zum 1.Mai 1980 aus der Stadt hinausbegleitet. Die Straßen sind voll von Betrunkenen, es ist Walpurgisnacht in Köln. Er will nur weg. Einziges Gepäck: seine Zipfelmütze und ein Schlafsack. Rolf Tepel läuft, bis von Köln keine Lichter mehr zu sehen sind. Auf einem einsamen Feld packt er seinen Schlafsack aus und versucht, zur Ruhe zu kommen. „In diesem Moment hatte ich das erste Mal in meinem Leben Urängste“, erzählt der heute 36jährige.

Heute fürchtet sich der „Landschaftsbewohner“, wie er sich selbst nennt, nicht mehr davor, nachts in einem Kornfeld zu schlafen – Angst macht ihm vielmehr das „ganz normale Leben“, der ewige Kreislauf aus Arbeit, Essen, Schlafen und ein bißchen Freizeit. Seit seinem Weggang aus Köln, wo er in einer Polit-Wohngemeinschaft lebte und mehrere Jahre bei einem katholischen Pfarrer Seelsorge für Zivildienstleistende betrieb, versucht Rolf Tepel, den Menschen eine andere Welt zu zeigen – seine Welt, die aus spontanen Gedanken und ausgefallenen Ideen besteht. Rolf Tepel, der kurz vor dem Abi die Schule geschmissen hat, möchte nicht als Guru eine neue Religion oder Weisheit verkünden und ergebene Jünger um sich scharen. Er bevorzugt simplere Methoden: Mit Zipfelmütze und Blockflöte in der Tasche rollt er seit zweieinhalb Monaten einen 20 Zentimeter großen Stein vom Hunsrück in Rheinland-Pfalz bis an die polnische Grenze nach Frankfurt/Oder. Auch in Berlin war jetzt Zwischenstation; dort schob er vor gaffenden Touristen seinen an einem alten Rasenmähergriff befestigten Stein durchs Brandenburger Tor.

Über 1.100 Kilometer hat der kleine schmächtige Mann per pedes auf seiner Roll-Tour zurückgelegt — mit jedem Meter nutzt sich der aus einem Grabstein gehauene Porphyr ein bißchen mehr ab. Für Ralf Tepel ist Steineschieben ein „hochgradig symbolischer Akt“ — auf viele „Normalos“ dagegen, die ihm auf seinem Weg begegnen, wirke er verrückt und überkandidelt, eben nicht in die Gesellschaft passend, erzählt er. Und auch der Rasenmähergriff ist für Rolf Tepel eine Art therapeutisches Werkzeug: „Als Kind mußte ich jeden Sonnabend den Vorgarten meiner Eltern mähen, für mich der Inbegriff des Spießertums.“

Doch den begrenzten Ideenreichtum seiner Umwelt versucht er mit seinem Symbol-Stein zu durchbrechen. Seine Philosophie: „Bei jedem Schritt, den ich mit dem Stein gehe, fällt ein Stück Ummantelung ab, vom Stein und von den Menschen, die ich auf meiner Wanderung kennenlerne.“

Rolf Tepel versucht aber nicht erst seit Mitte Juni, den „Stein ins Rollen“ zu bekommen. Seit seinem Weggang aus Köln hat er den Trieb verspürt, „das Leben zum eigenen Lehrer zu machen“. Für ihn bedeutet das, keine Verpflichtungen zu haben, keine Uhr, keine Termine. So hat er lange Jahre im Zirkuswagen ohne Kontonummer und Versicherung gelebt und schlägt sich, wenn er Geld braucht, mit Gelegenheitsjobs als Dachdecker oder Jongleur durchs Leben. Der Begriff „Existenzangst“ ist ihm seit seiner ersten Nacht auf dem Feld fremd: „Bisher habe ich immer Glück gehabt.“

Barfuß rollte er 1988 einen Stein quer durch Deutschland. Die Enttäuschung kam Stück für Stück: Der Stein löste sich durch die monatelange Rollerei völlig auf — er war nur aus Beton. Trotz der vielen Wanderungen, bezeichnet Rolf Tepel, der zwei schulpflichtige Söhne hat, den Hunsrück als seine Heimat. Besonders angetan haben es ihm dort die jetzt verlassenen Kasernen und Übungsplätze der Alliierten. Rolf Tepels Traum ist es, auf dem ehemaligen US-Gelände in Hahn eine eigene kleine Stadt zu gründen. Dort will, so sagt er, die Landesregierung den ersten Flugplatz in Deutschland bauen, auf dem 24 Stunden am Tag Flugbetrieb möglich ist. Dagegen kämpft Rolf Tepel auf seinem Weg durch Deutschland: eine Kommune mit Menschen, die keine Steine mehr ins Rollen bringen müssen. „Das ist mein Gesamtkunstwerk, mein Lebenszirkus, an dem ich arbeite.“ Julia Naumann