Der deutsche Widerstand gibt Orientierung

■ Rede von Klaus Wedemeier zur Einweihung des Cato-Bontjes-van-Beek-Platzes in Bremen-Kattenturm, August 1993

Der deutsche Widerstand gibt Orientierung

Rede von Klaus Wedemeier zur Einweihung des Cato-Bontjes-van-Beek-Platzes in Bremen-Kattenturm, August 1993

Einen Platz für Cato Bontjes-van-Beek, eine in Fischerhude gebürtige Antifaschistin, haben die Bremer erst jetzt gefunden, fünfzig Jahre nach ihrer Hinrichtung durch die Nazis: In Kattenturm, inmitten postmoderner Neubauten und den Resten des Beton-Brutalismus der 60er Jahre, widmete ihr die Stadt eine ausgediente Straßenfläche. Diese aufzuknacken und zu einem wirklichen Ort des Erinnerns zu machen, war die Aufgabe von Künstlerinnen und Künstlern. Die Bildhauerin Veronika Maier gewann den entsprechenden Wettbewerb. Ihr Platz setzt Cato Bontjes-van-Beek kein pathetisches Denkmal; ihre begehbare Skulptur aus Gräsern, Büschen, Blumen und Baumreihen soll vielmehr auf unaufdringliche Weise eine Auseinandersetzung mit dem Thema Widerstand anregen. Und gleichzeitig die Funktion eines naherholungs-Plätzchens haben. Anläßlich der Übergabe des Platzes an die Öffentlichkeit sprach OB Klaus Wedemeier an Ort und Stelle über das Leben und Werk der Antifaschistin; die taz dokumentiert seine Rede in vollständiger Länge.

Cato Bontjes van Beek wurde heute vor 50 Jahren, 22jährig, in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil zu Tode gebracht. Bevor ich etwas über das Leben Catos erfuhr, habe ich Bilder von ihr gesehen: Cato als 8jähriges Kind, die Heranwachsende mit 13 und 14 Jahren, die 17jährige Jugendliche und dann die junge Frau. Ich werde ihr Gesicht nicht vergessen. Cato wird am 14. November 1920 in Bremen geboren. Ihr Vater ist der Keramiker Jan Bontjes van Beek. Ihre Mutter Olga ist die jüngste Tochter des Malers Professor Heinrich Breling. Zusammen mit ihrer Schwester Mietje, 1922 geboren, und dem Bruder Tim,1923 geboren, wächst Cato in Fischerhude, in der Bredenau, auf. Vater Jan gehörte 1918 zu den aufständischen Kieler Matrosen und war als Soldatenrat nach Berlin geschickt worden. Im Haus Breling-Bontjes van Beek verkehren Künstlerinnen und Künstler, Philosophen und Intellektuelle. Kunst und Politik, Philosophie und Literatur, sind tägliches geistiges Brot für Cato. 1935 wird Cato konfirmiert, und für dieses Fest werden gleich alle drei Geschwister getauft. Alle, die Cato kannten, sprechen von ihrer Lebensfreude, ihren Interessen und Leidenschaften, ihren Ideen, aber auch von ihrer Geradlinigkeit und ihrem Engagement. 1937 lebt sie acht Monate als Haustochter in England.

Danach geht sie nach Berlin, wo der Vater lebt, und sie macht dort eine bürotechnische Ausbildung. 1938 kommt sie wieder nach Fischerhude zurück und arbeitet in Bremen als Büroangestellte. Literatur ist ihre große Leidenschaft. Mit 16 war sie in einen Lesering eingetreten und nun häufen sich die Bücher. Neben den deutschen Klassikern sind es vor allem die russischen Autoren Dostojewski, Tolstoi und Gorki, die sie liest und in sich aufnimmt. Die Familie Bontjes van Beek gehörte von Anfang an zu den entschiedenen Gegnern der nationalsozialistischen Regierung. Der ehemalige Bremer Senator Adolf Ehlers schreibt in seiner Autobiographie: „Im Dritten Reich sind mir nur wenige Menschen begegnet, die aus so voller Überzeugung und aus einem unbeugsamen Gerechtigkeitsempfinden heraus gegen die Willkür des Hitler-Regimes gestanden haben, wie die Mutter Catos.“ Auch die Freunde der Familie sind entschiedene Gegner des Nationalsozialismus. Immer wieder kreisen die Gesprä

Cato Bontjes van Beek

che, an denen sich Cato beteiligt, um die verheerende Entwicklung, die Deutschland nimmt und die ganz Europa bedroht. Cato möchte nach England zurück, doch der Kriegsausbruch verhindert dies. Im Herbst 1939 geht sie wieder zu ihrem Vater nach Berlin, wo sie in seiner Keramikwerkstatt als Lehrling beginnt. Sie wohnt nun mit ihrer Schwester Mietje zusammen. In Berlin erlebt sie unmittelbar die Brutalität und Menschenfeindlichkeit des Nationalsozialismus. Sie sieht aber auchdas Mitläufertum und die Gleichgültigkeit der Menschen.

Durch ihren Vater lernt sie Freunde kennen, die ähnlich wie sie empfinden, und die für Menschenrecht und Menschenwürde eintreten. Die Briefe der 19jährigen werden jetzt immer politischer. Am 24. Oktober 1939 schreibt sie: „Seit Wochen wütet jetzt der Krieg. Nie wollten die Menschen sich wieder bekämpfen, so schwor man 1918. Alle Feinde lagen sich in den Armen und unter Tränen gelobten sie es sich. 1933 wußte man, daß ein neuer Krieg kommen würde. Er ist nun da. Wie lange er dauern wird, weiß niemand. Alle guten Kräfte und Instinkte werden wieder verlorengehen, alle bösen Kräfte und Instinkte werden wieder aufkommen... Eine Handvoll erbärmlicher Menschen jagt Völker in den Krieg. Wir aber selbst müssen immer und immer an unserem Ideal festhalten. Wir dürfen nicht wankend werden...“

Vom April bis zum August 1940 wird Cato zum Reichsarbeitsdienst nach Ostpreußen einberufen. An ihren Cousin Ulrich Modersohn schreibt sie von dort am 7. August 1940: „Ich lag eine Woche im Bett, hatte ein schlimmes Bein und dabei viel gelesen, 'Krieg und Frieden' von Tolstoi. Er beschreibt den russisch-französischen Krieg von 1802. Es ist so furchtbar grausam alles... Weißt Du, lieber Ulrich, ich suche und suche immer noch nach der Wahrheit. Es gibt doch nur eine, kann es ja nur geben. Wo ist sie? Ich meine, sie schon oft gefunden zu haben, aber immer wieder muß ich mich abwenden und wieder vor dem Nichts stehen.“ Cato will jetzt handeln.

Cato Bontjes van Beek wurde am 5. August mit dem

Fallbeil hingerichtet

Sie und ihre Schwester Mietje suchen Kontakt zu französischen Kriegsgefangenen und versorgen sie mit Lebensmitteln und Medikamenten. Mietje schreibt später: „Vielleicht konnten wir uns ein wenig Menschlichkeit schenken und uns so gegenseitig über die Misere des Krieges und die Last des Ertragens hinwegtrösten.“ Cato und Mietje wohnen am Kaiserdamm.

Im gleichen Hauswohnt eine jüdische Familie. Diese wird an einem Morgen abgeholt. Und ihre Wohnung wird plombiert. Kurz danach schließt sich Cato der Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack an. Diese Gruppe, die später von den Nazis den Namen „Rote Kapelle“ erhält, ist eines der bedeutendsten Widerstandszentren in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges. Mit ihrem Freund Heinz Strehlow beteiligt sich Cato an der Herstellung und Verteilung von Flugschriften, die zum Widerstand gegen die Nazi- Herrschaft aufrufen. Nach einigen Wochen arbeiten Cato und Heinz eigenständig gegen den nationalsozialistischen Staat. Am 20. September 1942 wird Cato morgens um 8 Uhr zusammen mit ihrem Vater verhaftet. Der leitende Gestapo-Beamte teilt

Der Cato Bontjes van Beek-Platz, vor der feierlichen Eröffnung Foto:

der Mutter mit: „Cato Bontjes van Beek hat selbständig antinationalistische Flugblätter verfaßt, auf der Schreibmaschine geschrieben und redigiert. Sie hat ihre Tat bereits gestanden.“

Sie wird „wegen Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt. Am 5. August 1943 wird sie, 22 Jahre alt, mit dem Fallbeil hingerichtet. An diesem Tag werden in Plötzensee 15 Menschen vom Scharfrichter mit dem Fallbeil gemordet, darunter 12 Frauen. In Fischerhude läßt Pfarrer Frerichs für die hingerichtete Cato die Totenglocke läuten. Er wird denunziert und verhaftet.

Nach dem Ende des Nazi-Regimes haben wir Deutsche lange gebraucht, um uns der eigenen Vergangenheit wirklich zu stellen.

Der Satz „Wir haben nichts gewußt.“ gehört zu den verhängnisvollsten Lebenslügen der Deutschen nach 1945. In den Zusammenhang mit der verdrängten Schuld gehört auch der deutsche Umgang mit dem Widerstand. Widerstand in Deutschland war schwieriger als in den Ländern Europas, die von den Deutschen besetzt waren. Dort ging es nicht nur gegen ein verbrecherisches Regime, sondern auch gegen die Besatzungsmacht. Widerstand in Deutschland richtete sich nicht nur gegen die eigene Regierung, sondern auch gegen das eigene Land, dessen Niederlage man herbeiwünschen mußte, weil eine Niederlage Deutschlands die einzige Möglichkeit war, sich vom Nationalsozialismus zu befreien. Diejenigen, die aktiv Widerstand leisteten, waren die wahren Patrioten des deutschen Volkes. Jahrzehntelang wurden vor allem die Männer des 20. Juli hervorgehoben. (und einige Sozialdemokraten) Ihr Handeln gilt zurecht als patriotische Tat. Den sozialistischen und kommunistischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern sprach man dagegen oft ehrenhafte Beweggründe ab, obwohl sie von Anfang an gegen die Nazi-Diktatur kämpften, und nicht erst dann, als die Nie

derlage des Deutschen Reiches sich schon abzeichnete. Erst in den 70er Jahren findet der Widerstand aus der Arbeiterbewegung Interesse. In den Gemeinden bilden sich Initiativen, die, wie sie es nennen, auf „Spurensuche“ gehen, auch hier in Bremen. Von den Zeitzeugen, die nun eingeladen werden, erfahren die jungen Menschen, die es wissen wollen, wie der Alltag im Nationalsozialismus aussah. Sie erfahren vor allem, wie einsam und isoliert all jene waren, die gegen den Strom anschwammen, die für Menschenrechte und Menschenwürde, die gegen das Morden und den Krieg kämpften und dabei ihr Leben und oft auch das ihrer Familie und Freunde auf's Spiel setzten. Widerstand hieß: in ständiger Angst vor dem Verfolger leben, sich verstecken müssen, auf Freundschaften zu verzichten und immer wieder vor verschlossenen Türen zu stehen, in ständiger Sorge um das Leben der Nächsten und schließlich die Gewißheit, daß am Ende die Folter und der Henker warteten.

Daß es so wenige waren, die zum Kämpfen bereit waren, hat Cato immer bedrückt

Wir können nur ahnen, wie es im Herzen und in der Seele von Cato ausgesehen hat, als sie sich zum Handeln entschlossen hatte. Aus ihren Briefen wissen wir, daß ihr Kampf ihr auch Gefühle des Glücks und der Freiheit geschenkt hat. Die Flugblätter des Widerstands, die Cato mitherstellte und verteilte, waren in dieser Zeit in Deutschland die einzige Literatur, die noch etwas Menschliches mitteilte, die sich auflehnte gegen die Schande, gegen die Zerstörungdes Denkens und Fühlens. Daß es so wenige waren, die zum Kämpfen bereit waren, hat Cato immer bedrückt. Sie wußte, daß die Schwäche der Allzuvielen die Bestialität erst ermöglichte. Und doch haben Tausende ihre Ängste überwunden und den Mut zum Widerstand gefunden: sei es durch die Weitergabe einer Nachricht, das Überbringen eines Zettels, die Beher

bergung eines Verfolgten. Und Cato gehörte zu den Schatten, die in der Nacht dahinhuschten, Zettel klebten, Buchstaben an Wände und Zäune malten, die den Gedanken sichtbar machten, daß man sich wehren muß gegen Ungeist und Terror. Sie glaubte an eine bessere Zukunft und eine gerechtere Gesellschaft. Von ihren höchsten Zielen wurde sie dann in tiefste Niedrigkeit geworfen. Welch winzige Wegstrecke hat sie zurückgelegt, und doch welche Wanderung bis zur Todeszelle! Elf Monate wartete Cato im Gefängnis auf Begnadigung oder Tod. Von ihren letzten Stunden in Plötzensee hat der Gefängnispfarrer Dr. Ohm der Mutter ausführlich berichtet. Cato hat ihm gesagt: „Ich habe den dringenden Wunsch, daß Mama es erträgt und durchsteht, und die Familie möchte weiter so zueinander stehen wie bisher, weiter so zusammenhalten.“ Wenige Minuten vor ihrer Hinrichtung sagt sie zu dem Pfarrer: ... „Eines Tages werden wir alle wieder zusammensein.“ Auf seine Frage, was sie so erstaunlich ruhig werden läßt, antwortet sie: „Einmal, daß es kein Ende bedeutet und daß die Entwicklung, so wie wir alle sie ersehnt haben, voranschreitet.“ Diese Menschen mit ihren Flugblättern und Sabotageakten, ihren heimlichen Zusammenkünften, ihren Hoffnungen und Planungen bezeugen, wie im äußersten Niedergang eines Landes dennoch eine Kraft lebendig bleiben konnte, die an Menschlichkeit und Würde erinnert. Wenn in Deutschland überhaupt ein eigener demokratischer Neuanfang möglich war, dann nur, weil es jene gegeben hat, die sich der Barbarei widersetzt hatten.

Cato und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter

verkörpern ein Deutschland,

auf das wir stolz sein können

Cato und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter verkörpern ein anderes Deutschland, ein Deutschland auf das wir stolz sein können, ein Deutschland der Demokratie und der Humanität. Was diese Menschen damals auf sich genommen haben, ist uns Ansporn und Orientierung. Von den Mitgliedern der „Roten Kapelle“ gibt es ein sogenanntes Gestapo-Album, in dem 108 Gesichter festgehalten sind. Wer sich die Gesichter anschaut, wer sich einfühlt in die Qual, aber auch die Würde der vom Tod Gezeichneten, der wird das Wort „Widerstand“ nicht leichtfertig benutzen. Er wird begreifen, daß widerstehen nur möglich ist, wenn man stehen kann, wenn man gelernt hat, standhaft zu sein, stehen zu können. Der deutsche Widerstand gibt Orientierung. Das Vermächtnis der Frauen und Männer, die ermordet wurden oder überlebt haben, verlangt von uns, aufzustehen, wo andere diskriminiert, beschimpft und bedroht werden.

Es verlangt von uns, die Erinnerung wach zu halten, und uns gegen jedes Unrecht zu erheben, auch dort, wo es uns selbst nicht berührt. Es verlangt aber auch von uns, die Hoffnungen auf eine gerechte und menschliche Gesellschaft lebendig zu halten. Cato mag zu Recht eine Heldin genannt werden. Aber sie hat gekämpft und ihr Leben dafür eingesetzt, daß unser Land nie wieder Helden braucht. er Name Cato Bontjes van Beeksoll in unserer Stadt icht vergessen werden.

Ich verneige mich vor Catos Mutter, ihrer Schwester und ihrem Bruder.