Gesundheitsenatorin will kein Krebsregister

■ Gesundheitsbehörde und Wissenschaftler im Clinch um die systematische Datenerfassung bei Krebsfällen

Wenn es nach dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) geht, dann muß ab 1. Januar 1995 jedes Bundesland ein eigenes Krebsregister führen. Im kleinsten Bundesland Bremen ist dieses Vorhaben auf Behördenseite umstritten. „Gesundheit ist Ländersache“, sagt der zuständige Abteilungsleiter für das Gesundheitswesen, Dr. Matthias Gruhl, und erklärt, daß sich der Bund in Dinge einmische, die ihn nichts angingen. Befürworter findet der Plan dagegen auf der Wissenschaftsseite. Prof. Eberhard Greiser, Leiter des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS): „Wir dürfen den Menschen hier ein Krebsregister nicht weiter vorenthalten. Nur mit solchen Datensammlungen ist überhaupt Krebsvorsorge sinnvoll möglich.“

Dr. Gabriele Hunsdorfer beim BMG verteilt seit mehreren Jahren regelmäßig Forschungsmittel für den Aufbau bzw. die Unterstützung bundesdeutscher Krebsregister. Adressaten: Das Saarland, Baden-Würtemberg, Rheinland- Pfalz, Hamburg, Mainz, Münster und Oldenburg. Insgesamt standen dafür im letzen Jahr rund 2,5 Mio. Mark zur Verfügung, im Einzelfall zwischen 140.000 und 250.000 Mark (eine Millionen Mark kostete im letzen Jahr die Sicherung des Krebsregisters der DDR). „Bremen hatten wir auch schon auf der Liste“, erinnert sie sich, „ein Antrag ist aber nie gekommen, und so haben wir das Geld woanders ausgegeben.“

Wenn das neue Bundesgesetz kommt (und die SPD hat im Bundestag am 18.12.1992 zugestimmt), hört der Geldsegen aus Bonn auf. „Im Gesetz ist eine finanzielle Beteiligung des Bundes nicht vorgesehen“, sagt Hunsdorfer. Jetzt wehren sich die Länder gegen den Gesetzentwurf und stellen sich im Bundesrat auf die Hinterbeine. „Die lassen sich nicht gerne ein Gesetz aufdrücken, das sie Geld kostet“, vermutet die BMG-Referentin.

Gruhl nennt für die Bremer Gesundheitsbehörde andere Gründe. „Sinn der staatlichen Gesundheitsfürsorge ist die Betreuung der Bürgerinnen und Bürger, nicht die wissenschaftliche Aufarbeitung von Daten.“ Außerdem befürchtet er, daß sich das BMG langfristig über das Bundesseuchengesetz in die öffentliche Gesundheitsversorgung einklinken wolle und das Gesetz die Tür zu den Ländern öffnen soll. Zum Thema Krebsregister verweist Gruhl auf die Bremer Tumor-Nachsorge- Leitstelle, wo bereits Daten von Krebspatienten auf freiwilliger Basis gesammelt werden. Eine rein wissenschaftliche Datensammlung wie in einem Krebsregister sei aber nicht „handlungsorientiert“ und für die Behörde damit sinnlos.

Hätte die Behörde ein Einsehen, erklärt dagegen BIPS- Chef Greiser, könne man zum Aufbau eines Krebsregisters jetzt noch Geld vom BMG beantragen und damit billiger bekommen, was ab 1995 ohnehin bindend aufgebaut werden muß. „Ohne die politische Willensbildung ist das hier aber nicht möglich“, kritisert Greiser den Behördenstandpunkt. Nötig aber schon. Schließlich verursache Krebs heute 30 Prozent aller Todesfälle.

„Die Ursachen für die Häufigkeit eines bestimmten Krebses könnten wir ohne das Instrumentarium Krebsregister nicht erkennen.“ Dort wird beisielseise registriert, wo ein Krebspatient wohnt, welche Art Krebs er hat, seit wann er ihn hat etc, radioaktive Niedrigstrahlung aus dem Atomkraftwerk Krümel, chemische Belastungen aus der Sondermülldeponie Münchehagen oder ein defektes Röntgen-Gerät in Sittensen: „Mit Extra-Studien verlieren wir immer rund zwei Jahre Zeit, bevor wir Ursachen für Krebse erkennen können“, sagt Greiser.

Das BIPS hat massive Eigeninteressen in der Frage des Krebsregisters. Denn hier soll die Datensammlung entstehen, streng nach datenschutzrechtlichen Bestimmungen und aufgrund vieler Vorforschungen. „Die Behörde wäre damit überfordert, muß aber die Weichenstellungen vornehmen.“

Prof. Hans-Jochen Illeger, Leiter der Abteilung Hämatologie und Onkologie in der Städtischen Klinik Oldenburg, baut seit zwei Jahren ein Krebsregister für die Weser-Ems-Region auf. Er steht zwischen Praxis und Wissenschaft und sammelt derzeit, streng anonymisiert, krankheitsspezifische Daten über Patienten, die dann nach Gemeinde-Kennziffern geordnet werden. Seine Arbeit sind die Vorversuche für den Aufbau eines niedersächsischen Krebsregisters. Politisch kann er den Clinsh um das Eingriffsrecht des Bundes in die Länderhoheit nachvollziehen, aus Sicht des Wissenschaftlers aber nicht: „Wir müssen herausfinden, woher der Krebs kommt und welche Ursachen er hat. Dafür brauchen wir ein dichtes Datennetz. Diejenigen, die das auf politischer Ebene verhindern wollen, dürfen sich meiner Meinung nach nicht Volksvertreter nennen.“ mad