■ Serie Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes, Teil 9
: Plaste und Elaste aus Schkopau

Es war einmal ein Land, das roch von oben bis unten nach Bananen. Das ist Panama, sagten der kleine Bär und der kleine Tiger in Janoschs Kinderbuch und es wurde ihr Traumland. Es war einmal ein Land, das roch von oben bis unten. Doch von Bananen keine Spur. Deswegen gibt es das Land nicht mehr. Aber der Geruch, den gibt es noch immer. Zerbrechlich, lebendig, immateriell und doch haltbar, beständig und treu führt er sein Leben noch lange weiter, auch nach dem Untergang der Dinge, wie eine irrende Seele, sich erinnernd, wartend, hoffend. Das ist schön gesagt und von Proust.

Nun gibt es berechtigten Grund zu der Annahme, daß dieses spezielle Odeur, diese Anmutung aus Fliegentod, altem Lappen und über offenem Feuer gerösteten Gummilatschen – daß dieser Hauch nicht nur auf eine Mischung aus desinfizierendem Lysol und Trabi-Zweitaktgemisch zurückzuführen ist, sondern auch den Kunststoffprodukten entweicht, die sich durch den eigenwilligen Namen „Plaste und Elaste“ ins Gedächtnis schkopaut haben.

Die Ureinwohner des Landes werden diesen Zusammenhang bestreiten. Wir müssen aber mit Bedauern feststellen, daß sie in Sachen eigener Duft absolut inkompetent sind. Sie ignorieren ihn, sie leugnen ihn gar. Erst kürzlich machte ein Sprecher der Buna-AG, die für das Markenprodukt „Plaste und Elaste“ verantwortlich zeichnet, von sich durch den Ausruf reden: „Die DDR riecht nicht!“

Aber geleuchtet hat sie bestimmt. Vor allem an jener Autobahnbrücke an der Elbe bei Vockerode, die jeder Transitreisende, sei es, daß er von Süden Richtung Berlin fuhr oder in die entgegensetzte Richtung, passieren mußte. Neben der Brücke steht ein Turm. Und von ihm herab strahlte es so unsozialistisch hell und bunt: „Plaste und Elaste aus Schkopau“.

Nie hat sich die Zone dem Besucher so voller Symbolik präsentiert: So fremd und doch vertraut, so heimatlich, wenn auch verstaubt. Was, fragte sich der Reisende, soll diese Werbung, die wie ihre eigene Großtante daherkommt, diese rührend sinnlose Reklame in einem Land ohne Konkurrenz-Anbieter?

Sie leuchtete, so lautet die Vermutung, aus schierem Stolz, von innen heraus sozusagen. Hier erglänzte die moderne DDR: in Hochspannungsfilterleuchtstoffröhren, verzinktem Stahlblech, Piacryl, PVC und Leuchtfarbe, in 66 Teilen auf über 10 Metern Höhe und mehr als 5 Metern Breite.

Ohne Plaste und Elaste hätte es keine realsozialistischen Kunststoffträume gegeben. Weder Nudelsiebe noch diese äußerst praktischen, abwaschbaren Tischdecken, weder Trabi-Interieurs noch diese pflegeleichten, in hübschem Pfeffer-und-Salz gemusterten PVC-Böden, weder Bluttransfusionsschläuche noch Elektrokleinteile. Die Buna- Werke lieferten 90 Prozent aller Kunststoffe in der DDR, mit allen Folgen, die das so in der Regel für die Umwelt zu haben pflegt.

Das chemische Parfum machte zwar der Luft und noch einigem anderen den Garaus, nicht aber den Buna-Werken. Die haben der Entwicklung zur industriellen Null-Lösung erfolgreich widerstanden. Ihre Leuchtreklame nicht, wobei die umgekehrte Entscheidung zweifellos umweltfreundlicher gewesen wäre. Was an der Autobahn seit 1978 strahlte, tut es nimmermehr. Paragraph 9, Absatz 6 des Bundesfernstraßengesetzes ließ „Plaste und Elaste“ im März 1991 erlöschen, da „an Brücken über Bundesfernstraßen Anlagen der Außenwerbung nicht angebracht werden dürfen“. Als Symbol eines untergegangenen Reiches hoffen die Leuchtstoffröhren im Deutschen Historischen Museum auf hellere Zeiten.

Aber uns bleibt ja noch der Geruch. Dieser Duft von Reichsbahnsitzpolsterbezügen, Möbeloberflächenbeschichtung und Teppichbodeninnenseitengummierung, der auf den Trümmern alles Übrigen in unwirklichen winzigen Tröpfchen das unermeßliche Gebäude der Erinnerung unfehlbar in sich trägt. Bascha Mika

Am kommenden Dienstag: Ein Kreuz an der Straße