Bremer SPD mit Lust am Untergang

Vor dem Sonderparteitag ist die Bremer SPD nur noch über zwei Dinge einig: Mit Wedemeier ist die nächste Wahl nicht zu gewinnen, und es gibt keine Alternative zu ihm  ■ Aus Bremen Klaus Wolschner

„Verblüfft und amüsiert registriert inzwischen die Republik – soweit sie weiß, daß es noch ein Bundesland Bremen gibt –, wie die Sozialdemokraten hier Sophokles spielen. Keiner traut dem unglücklichen Wedemeier und seinen Senatsgespenstern noch zu, die SPD in Bremen an der nächsten Wahlkatastrophe vorbeimanövrieren zu können. Und trotzdem beschließt die Partei ihren Untergang. In der bundesdeutschen Parteiengeschichte hat es so etwas noch nicht gegeben.“

So beschreibt der frühere Bremer Bildungssenator Thomas Franke, der als fröhlicher Rentner die Politik seiner Partei regelmäßig und frech kommentiert, die Lage. Vier Jahrzehnte regierte die SPD den Zweistädtestaat Bremen mit absoluter Mehrheit unangefochten. Derzeit aber sieht der eigene Landesvorstand seine Partei im freien Fall.

Im Zentrum der Debatte steht der Präsident des Bremer Senats und Bürgermeister Klaus Wedemeier, der mit einem auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf 1991 zwölf Prozent Verlust zu verantworten hatte: Zum ersten Male seit Jahrzehnten landete die SPD unter 40 Prozent. Während die damalige SPD-Landesvorsitzende Ilse Janz zurücktrat, blieb Wedemeier im Amt.

Mit einer recht farblosen SPD- Bank ging Wedemeier in die Bremer Ampel-Koalition. Dort streiten sich seitdem FDP und Grüne auf profilierende Weise, während die SPD bewegungsunfähig und zerstritten zwischen den Stühlen sitzt. Der einzige, der auf der SPD- Bank neben Wedemeier einiges Profil zeigt, ist der Finanzsenator Volker Kröning, ein Intim-Feind des Bürgermeisters, der aus seinen Ambitionen auf das Rathaus keinen Hehl macht. Da der Finanzsenator aber die harten Sparauflagen aus dem Sanierungsprogramm Bremens zu vertreten hat, ist sozialdemokratisches Profil mit seinen Interventionen gegen die ausgabefreudigen Ressorts auch nicht zu gewinnen.

Während die SPD ratlos auf die „Halbzeitbilanz“ – zwei Jahre Ampel-Koalition – in diesem Herbst zusteuerte, verteidigte Wedemeier seine Rolle mit dem unglücklichen Argument, er müsse zwischen den Koalitionspartnern „moderieren“. Da die Partei aber keinen anderen profilierten Kopf hat, erwartet sie von ihrem Spitzenkandidaten aber weit mehr – soll der nächste Wahlkampf 1995 nicht im vollkommenen Desaster enden. Die Zweifler in der SPD sind in der Mehrzahl, auch im Vorstand, und Wedemeier hat in seinem Urlaub mit dem Gedanken des Rücktritts ganz ernsthaft gespielt.

Als er dann ohne weitere Erklärung zwei Monate vor der „Halbzeitbilanz“ seiner Partei ankündigte, er wolle 1995 wieder Spitzenkandidat werden, da platzte der SPD-Führung der Kragen. Mitten in den Sommeferien trafen sich der Landesvorsitzende Konrad Kunick, dem große persönliche Verbitterung über sein Ausscheiden aus dem Senat 1991 nachgesagt wird, und die Vertreterin des „Erneuerer“-Flügels Angelika Pensky.

Die beiden formulierten ein geharnischtes Papier. „Moderation reicht nicht“, steht da in deutlicher Anspielung auf Wedemeiers Selbstdefinition. „Sowohl sachlich als auch personell“ stehe eine „gründliche Erneuerung“ an. Die politische Verantwortung für „Schwächen und Mängel der Koalition“ sei „in hohem Maße bei Sozialdemokraten zu suchen“.

Die Erneuerer hatten auch einen Alternativ-Kandidaten in der Hinterhand: Rudolf Hickel, Wirtschaftsprofessor, einer der Kritiker der renommierten Wirtschaftsgutachten der „Fünf Weisen“. Nur: Der Kandidat ist den rauhen Wind der Politik nicht gewohnt. Kaum war seine mögliche Kandidatur am 1. August drei Stunden öffentlich bekannt, machte er schon einen Rückzieher mit der Erklärung, er habe nicht dazu beitragen wollen, daß Wedemeier verdrängt wird.

Seitdem sind Bremer Sozialdemokraten vor allem auf ihren Parteivorstand nicht mehr gut zu sprechen. Wütend wird der Rücktritt des gesamten Vorstandes gefordert. Als dann auch der Finanzsenator in dieses Chaos hinein seine Lust auf das Rathaus-Amt öffentlich bestätigte, wurde die Fingerbewegung in Richtung Stirn zum Erkennungszeichen unter Genossen an den Kneipentresen.

Nachdem so die allseitige Verärgerung perfekt war, kehrte der Landesvorsitzende aus dem Urlaub zurück. Seitdem tagen Vorstände und Kommissionen und beschwören sich immer wieder gegenseitig: nur nichts an Presseleute herausgeben.

Daß die Vorständler sich zu einem Beschluß durchringen können, scheint dabei ausgeschlossen: Niemand weiß, welche Stimmung ihnen auf dem Sonderparteitag am Donnerstag abend entgegenschlagen wird. Vom Rücktritt des Bürgermeisters bis zum Rücktritt des gesamten Landesvorstandes ist alles drin. Klar ist nur eines: Es wird mächtig Dampf geben. Der Senat ist derweil in Klausur gegangen und richtet sich darauf ein, daß alles so weitergeht wie bisher.

Dies interpretiert der frühere Finanzsenator Claus Grobecker, der von seiner Stammkneipe aus immer kräftig mitregiert, als Lust am sozialdemokratischen Untergang und verkündet, bevor die Quittung in der Wahl 1995 nicht klar auf den Namen Wedemeier ausgestellt sei, wolle er jedenfalls nicht Bürgermeister werden.