Die langen Schatten von Langemarck

■ Nordhorn oder Bremen: Heldengedenken bleibt / Kritischer Hochschul-Prof läuft auf

Fast achtzig Jahre nach der Schlacht vom Langemarck ist der Name des flandrischen Dorfes und der „Mythos Langemarck“ immer noch Anlaß für erbitterte politische Gefechte. So gerät der Kulturdezernent im niedersächsischen Nordhorn unter Beschuß aus der rechten Ecke, weil er den dortigen Langemarck-Platz umbenennen und umgestalten will. In Bremen sorgt das Thema „Umbenennung der Langemarckstraße“ immer mal wieder für Unruhe: In der Hochschule Bremen wurde kürzlich verhindert, daß der renommierte Erziehungswissenschaftler Peter Krafeld einen Beitrag über die Vergangenheit des Namens „Langemarckstraße“ und dessen Bedeutung für die Hochschule in der Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Technikums schreibt.

Langemarck ist der Name eines Ortes in Flandern, der zu Beginn des Ersten Weltkrieges heftig umkämpft war. Ende Oktober 1914 verheizte die deutsche Armeeführung in einer Welle von Angriffen 2000 Kriegsfreiwillige beim sinnlosen Sturm auf das unbedeutende Dorf. Die „Blüte der deutschen Jugend“, hauptsächlich kriegsbegeisterte Freiwillige, starb bei dieser Aktion „mit dem Deutschlandlied auf den Lippen“, so die Legende. Aus dem sinnlosen Gemetzel wurde der „Mythos Langemarck“ gemacht: hingebungsvolle Liebe zum Vaterland bis in den Heldentod. In der Weimarer Republik entstanden überall in Deutschland Denkmäler für die „Helden“, die Nazis setzten Langemarck als Symbol für die Opferbereitschaft der Jugend direkt in ihre Vorbereitung von Führerstaat und Krieg ein.

In Nordhorn ist der SPD-Kulturdezernent Johannes Bruns wegen der Umgestaltung des „Langemarckplatzes“ zu einem „Schwarzen Garten“ durch die New Yorker Künstlerin Jenny Holzer ins Visir des Anzeigenblattes „Grafschafter Wochenblatt“ geraten. Der Stein des Anstoßes, ein wuchtiger Block mit der Aufschrift „Die Gefällten sind es, auf denen das Leben steht“ soll im Museum verschwinden. In einer wütenden Attacke vom 28. Juli heißt es, die Pläne der Nordhorner „Kultur- Mafia“ erinnerten an Bilder aus

„Sterben mit dem Deutschlandlied auf den Lippen" - der Mythos von Langemarck, in der Weimarer Republik gepflegt, von den Nationalsozialisten benutzt und bruchlos in die Bundesrepublik übernommen. Doch nicht ohne Widerspruch. Der Bremer Gedenkstein des Anstoßes vor der Hochschule: Mehrfach bemalt, jetzt gestürztFoto: Christoph Holzapfel

der UdSSR oder DDR, wo „Denkmäler kontrarevolutionär zerstört oder sinnentfremdet wurden und damit Zeitgeschichte retuschiert wurde.“ Angesichts der leeren Kassen und 150.000 Mark Kosten für die Umgestaltung wird den Verantwortlichen „jeder gesunde Menschenverstand abgesprochen, da möchte man sie im hohen Bogen aus ihrem Amt herausbefördern.“

Was wie eine Provinzposse scheint, hat einen unmittelbaren Bezug zu Bremen. Auch hier wird periodisch über die Umbenennung der „Langemarckstraße“ nachgedacht, auch hier sehen viele eine solche Änderung nicht ein. Dem Erziehungswissenschaftler Krafeld hat sein Einsatz für die Abschaffung des Namens schon viel Ärger eingebracht. Nicht nur wurde er als Autor der Festschrift verhindert, er sieht im Verhalten der Hochschule auch eine Abwertung seiner Forschungen zum Thema rechte Jugendliche. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Hochschule in der Frage der Straßenumbenennung und im Verhalten zur Forschung über rechte Gewalt,“ sagt er. Konservative Technik- Fachbereiche ließen keine Aufarbeitung zu, weil sie die Ge

hierhin bitte den Klotz

in Plastikfolie

schichte des „Technikums“ als die ihre betrachteten.

Heiß diskutiert wurde das Thema vor 10 Jahren, als durch die Zusammenlegung verschiedener Hochschulen die Hochschule Bremen entstand — und als offizielle Adresse die Langemarckstraße führte. Krafeld wollte das nicht hinnehmen. Er stellte sich an die Spitze des Protestes, der die Abschaffung des Namens forderte, zuerst von der Hochschule unterstützt, später dann, wie er sagt, allein gelassen. „Es gab große Widerstände von den technischen Fachbereichen. Der Protest lief sich tot, es war immer mehr ein Ein-Mann-Unternehmen.“

In einer 20seitigen Dokumentation hat Krafeld die keineswegs zufällige Namensgebung für die Straße am damaligen Technikum dargestellt. Zum „Langemarck- Tag“, dem 11.Oktober, wurde die Straße 1937 umgetauft. „Die mit der Anschrift übergebene Verpflichtung auf die „Langemarck- Idee“ war damals eine direkte Maßnahme zur ideologischen Vorbereitung der faschistischen Eroberungskriege“, folgert er: wie die „Helden“ von Flandern sollten die Studenten des Technikums ihr Leben freudig für Führer, Volk und Vaterland opfern.

Die Änderung ihrer Adresse in Neustadtwall 30 bewirkte die Hochschule nicht über einen Umbenennung der Straße, sondern über einen ohnehin notwendigen Umzug der Verwaltungsgebäude. Auch sonst ist es still geworden um die Idee der Umbenennung. Für Kanzler Jürgen- Peter Henckel gibt es „wirklich wichtigere Dinge als diese Diskussion“. Da sind die knappen Mittel, die vielen StudentInnen und der Streit um das Mahnmal für „unsere Helden“ aus dem Ersten Weltkrieg vor dem Gebäude, das immer wieder umgekippt wurde und nun endgültig auf der Seite liegen bleiben soll. Auch Rainer Imholze vom Bauressort sieht vor allem „immense Kosten und Umstellungsprobleme“ bei einem Umbenennungsverfahren. Einen entsprechenden Antrag müßte in letzter Instanz der Senat entscheiden.

Schwierigkeiten bei der Umstellung wollen die Kritiker als Argument aber nicht gelten lassen: schließlich würden im Osten Deutschlands nicht nur ganze Straßenzüge, sondern ganze Städte umbenannt — und flächendeckend wurden erst vor einem Monat neue Postleitzahlen eingeführt.

Bernhard Pötter