Schummerlicht und Plüschsessel

■ Entgegen allen Unkenrufen hat sich das Schmidt-Theater auf St. Pauli etabliert Mit dicken Puschen und doofen Hüten alberte sich die Familie Schmidt zum Erfolg

Ein berühmter Bundeskanzler gab einst den Anstoß für die Namensgebung, und die „Familie Schmidt“ hatte zwischenzeitlich sogar einen Hund „Helmut“ im Programm. Nach mehreren Tingeljahren mit Zelt und durch Kleinstbühnen wurde die schräge Kabarettgruppe am 8.8.88 am Spielbudenplatz 24, im 1950 erbauten Gebäude der Union Lichtspiele und des späteren Tanzcafés Kaiserhof, seßhaft.

Mit einer Mischung aus Theater, Varieté und Kneipe hat sich das Haus in St. Pauli trotz einiger finanzieller Turbulenzen inzwischen etabliert. Unzählige Gäste haben sich im puffigen Schummerlicht in die roten Plüschsessel gelümmelt, haben sich von Stars wie Helge Schneider, Anne Sprinkle, Georgette Dee, Dirk Bielefeld oder Ralf Königs „Kondom des Grauens“ ebenso wie von unbekannten Überraschungen unterhalten und gelegentlich auch langweilen lassen. Das Schmidt holte Varieté aus der Schmuddelecke. Mit den Kurzauftritten seiner Mitternachts- und Tresenshows förderte es zudem Nachwuchsspaßmacher, -musiker und -dilettanten, einigen hat das Haus gar einen Karrierekick versetzt: etwa der St. Petersburger Slapstickgruppe Mimikritschi, Monty Arnold, oder“Zarah ohne Kleid“ Tim Fischer.

Im Februar 1990 wurde das Schmidt „öffentlich-rechtlich homosexuell“. Produziert vom NDR huschte die monatliche Mitternachsshow allmählich in fast alle dritten Fernsehprogramme. Die erste regelmäßig schwule Sendung verbreitete ein klischeehaftes Schwulenbild von der alternden Tunte Lilo Wanders (Ernie Reinhardt) und dem knollennasigen, immergeilen Herrn Schmidt (Corny Littmann) mit dicken Puschen und doofen Hüten. Sie schaffte es auf diesem Wege aber auch, Herrn und Frau Biedermann die schwule Welt durch die schützende Mattscheibe ins heimische Wohnzimmer zu bringen und so Ängste abzubauen. Die wegen Provokationen zwischenzeitlich sogar aus dem (WDR-) Programm gestrichene Produktion wurde inzwischen mehrfach kopiert und dürfte einen wesentlichen Teil zum Erfolg beigetragen haben.

Seit Mai 1989, mit der Musikkomödie Blaue Jungs, bei der sich Jutta Wübbe alias Marlene Jaschke zur Familie Schmidt gesellte, wurden auch mehrere abendfüllende Hausproduktionen entwickelt. Carmen und Beiß mich! zeigten, daß erfolgreiches Musiktheater auch ohne kommerzielle Glätte möglich ist.

Mit der neuesten Inszenierung Cabaret wurde dann auch die Schallgrenze der Professionalität durchbrochen. Die drei letztgenannten Aufführungen fanden allerdings längst im Schmidt's Tivoli statt. Das zweite Haus war im September 1991 einige Meter weiter im Gebäude der ehemaligen bayrischen Bierschwemme Zillertal eröffnet worden.

Das schwule Image des Schmidt trifft vielleicht noch auf die Macher und viele Künstler, jedoch schon lange nicht mehr auf das Publikum zu. Insbesondere der Fernsehruhm des Hauses zieht die in jeder Beziehung unterschiedlichsten Gäste an, und das sehr zum Leidwesen zahlreicher Kritiker aus der Schwulenszene. Für die ist ein Abend im Schmidt oder Tivoli nämlich nur noch die Hälfte wert, wenn sie ihn neben einer Pinneberger Hausfrauengruppe oder einem Betriebsausflug aus Plön genießen sollen.

Werner Hinzpeter