Wedemeier will Lernmittelfreiheit abschaffen

■ Dem senatorischen Rotstift auf der Spur (9): Eltern sollen für Hefte, Stifte und Schulbücher zahlen

Um zu sparen, wollen Teile der Bremer Regierung jetzt sogar die Landesverfassung ändern. In deren Artikel 31 heißt es bisher: „Lehr- und Lernmittel werden unentgeltlich bereitgestellt.“ Das wird sich möglicherweise ändern. Die Mitglieder des Bremer Senats haben für ihre Klausurtagung von Montag bis Mittwoch kommender Woche ein brisantes Papier im Gepäck. Darin schlägt die Senatskanzlei vor: Bürgerschaftspräsident Dr. Dieter Klink möge den Ausschuß zur Reform der Landesverfassung bitten, den Artikel 31 in diesem Punkt zu ändern. Das nähere Verfahren soll dann ein Gesetz regeln.

Die Bildungsbehörde hat dazu umfangreiche Untersuchungen in anderen Bundesländern gemacht und sie auf Bremer Verhältnisse angewendet. „Wir haben nur einen Prüfauftrag ausgeführt, vorgeschlagen haben wir gar nichts“, erklärte der Referent des Bildungssenators, Jürgen Holtermann, gestern.

Der Pferdefuß: Der Einspareffekt wäre deutlich niedriger, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Wenn Eltern nämlich künftig zu einem Drittel an den Kosten für Schulbücher beteiligt würden, könnten ihre Kinder die Bücher anschließend natürlich behalten. Die bisher übliche Wiederverwendung der Bücher wäre nicht mehr möglich. Mittelfristig seien deshalb mit der Abschaffung der Lernmittelfreiheit kaum Einsparungen zu erzielen, meint das Bildungsressort. Finanzsenator Kröning geht es aber vor allem um das schnelle Geld.

Die Bildungsbehörde hat am ausführlichsten das nordrhein- westfälische Lernmittel-Modell auf Bremen angewandt. Dort werden pro Verordnung bestimmte Höchstbeträge für Schüler festgelegt, an denen Eltern zu einem Drittel beteiligt werden. Kinder, deren Eltern Sozialhilfe beziehen, brauchen keinen Eigenanteil zahlen. Für Bremen ergibt sich dann folgender Effekt: Wenn die Schulkinder ihre Bleistifte, Hefte und Wasserfarben künftig selbst kaufen, spart das Land pro Jahr etwa 950.000

Zumindest das Unterrichtsgespräch bleibt weiterhin umsonst...Foto: Archiv

Mark. Wenn die Eltern ein Drittel der Kosten für die Bücher ihrer Kinder übernähmen, sparte das Land ca. 600.000 Mark. Für die Unterstützung von Kindern, deren Eltern von Sozialhilfe leben, müßten allerdings 150.000 Mark davon wieder ausgegeben werden.

Das soll möglichst unbürokratisch geregelt werden. In der Schule liegt für die Eltern ein Vordruck, den sie dann beim Sozialamt ausfüllen lassen müßten. Vermerkt würde dort nur, daß die Eltern des Kindes Sozialhilfe

hier bitte das

Foto mit den Schülern

beziehen. Die Schulen anonymisieren dann die Meldung und verlangen vom Land den entsprechenden Fehlbetrag.

Wie wenig Geld die Bildungsbehörde bislang für ihre Schüler im Lernmitteletat ausgegeben hat, zeigt eine behördeninterne Aufstellung. Danach sind 1992 auf jeden Schüler rund 25 Mark für Bücher ausgegeben worden (divergiert nach Schulart) und 10 Mark für Kopien. Fazit der Bildungsbehörde: Im Durchschnitt konnte in einem Jahr nicht einmal ein Buch (Anschaffungsko

sten durchschnittlich 30-35 Mark) angeschafft werden.

Ob und wie eine Änderung bei der Lernmittelfreiheit eintritt, ist bislang unklar. Die Gruppe Aufgabenoptimierung hat dieses Papier bereits zur Brust genommen, Senatspräsident Klaus Wedemeier befürwortet es. Doch er wird es schwer haben: An der Lernmittelfreiheit klebt sozialdemokratisches Herzblut, und dann braucht ein neuer Artikel 31 der Landesverfassung bislang auch noch die einstimmige Mehrheit der Bürgerschaft. mad