Agentenjagd in Bonn geht weiter

SPD: Keine Ermittlungen gegen Parteireferenten, nur Prüfung der „Personenidentität“ eines Angestellten / Struck: Von Enttarnungswelle sind alle Parteien betroffen  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Bonn (taz) –Die Jagd nach echten oder vermeintlichen Spionen der untergegangenen DDR hält das politische Bonn in Atem. Während das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Welle von Enttarnungen ankündigte, dementierte die SPD gestern energisch Berichte, wonach ein Mitarbeiter der SPD-Bundestagsfraktion sowie ein Referent der Bonner Parteizentrale unter Spionageverdacht stünden. Weder gebe es Ermittlungen, noch hätten Verhaftungen stattgefunden, hieß es gestern im Ollenhauer-Haus. Der Generalbundesanwalt prüfe zur Zeit lediglich, ob ein Mitarbeiter der SPD-Parteizentrale in Bonn mit einem mutmaßlichen DDR- Spion „personenidentisch“ ist. Dieser Mitarbeiter sei jedoch „nicht im politischen Bereich“ der SPD-Zentrale tätig. Vor eineinhalb Wochen sei die Parteispitze vom Generalbundesanwalt über diesen Verdacht informiert worden.

Mit den Worten „alles falsch“ kommentierte auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD- Fraktion, Peter Struck, Berichte über einen angeblichen Fraktionsmitarbeiter, der jetzt seine Spionagetätigkeit für den DDR-Staatssicherheitsdienst zugegeben habe. „Bei mir hat sich niemand offenbart“, sagte Struck, der als Sicherheitsbeauftragter seiner Fraktion fungiert und Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Bundestages ist.

Der SPD-Politiker schloß aber nicht aus, daß es Ermittlungen gegen ehemalige Mitarbeiter und ehemalige Angehörige der SPD- Fraktion geben könnte. Von der angelaufenen Ermittlungswelle seien „natürlich auch Sozialdemokraten betroffen“, räumte Struck ein. Neben der SPD seien von CDU und CSU über die FDP bis zu den Grünen „alle demokratischen Parteien betroffen“.

Am Wochenende hatte die Bundesanwaltschaft einen deutschen Mitarbeiter der Brüsseler Nato-Zentrale festnehmen lassen, der unter dem Decknamen „Topas“ jahrelang für die DDR und die Sowjetunion spioniert haben soll. Bereits am Freitag war bekanntgeworden, daß der Generalbundesanwalt gegen den FDP-Abgeordneten Wolfgang Lüder wegen des Verdachts der Stasi-Mitarbeit ermitteln will. Nach bislang unbestätigten Berichten sind daneben Ermittlungen gegen den ehemaligen SPD-Abgeordneten Karl Wienand geplant.

Wienand wies den Stasi-Verdacht am Wochenende zurück. Lüder hatte bereits am Freitag seine Unschuld beteuert. Er halte es aber für möglich, erklärte der FDP-Politiker, daß mehrere in seiner Umgebung enttarnte Spione Informationen nach Ost-Berlin geliefert haben, die dort zu einem IM-Vorgang zusammengefaßt wurden. Kontakte unterhielt Lüder zu dem als Stasi-Spion enttarnten ehemaligen Berliner FDP-Ehrenvorsitzenden William Borm und der ebenfalls enttarnten Stasi- Mitarbeiterin Sonja Lüneburg.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat unterdessen bekräftigt, daß eine Enttarnungswelle bevorstehe. Bisher unentdeckte Spione in Politik, Wirtschaft und Behörden würden „jetzt reihenweise purzeln“, kündigte der BfV-Vizepräsident Frisch gestern an. Neueste Erkenntnisse hätten den Verfassungsschützern den „Zugang zu hochrangigen Spionagefällen“ verschafft. Woher diese Erkenntnisse stammen, ließ das Bundesamt weiterhin im Dunkeln. „Wir sagen gar nichts“, erklärte eine Sprecherin.

Der SPD-Experte Struck widersprach unterdessen Behauptungen, die deutschen Behörden hätten einschlägige Akten aus Moskau erhalten. „Das halte ich alles für Unsinn“, sagte Struck der taz. „Das meiste sind Akten, die aufgrund von eigenen Ermittlungen des Verfassungsschutzes entstanden sind“, meinte der SPD-Politiker. „Schon gar nicht“ handele es sich um Unterlagen, die der amerikanische Geheimdienst CIA aus dem ehemaligen Ostberliner KGB-Büro beschafft habe. Diese Version verbreitete gestern dafür das ARD-Magazin Fakt.