Wieviel Menschen können von 3.800 Mark leben?

■ Bosnier will seine Familie vor dem Krieg am Balkan retten / Ausländeramt: Lohn reicht nicht

Mehemed Softic (49) reißt zur Zeit öfter mal zwei Schichten bei der Bremer Lagerhaus AG. In seiner spärlichen Freizeit baut er im Keller unter seiner Eigentumswohnung ein großes Zimmer aus: mit Holzvertäfelung und Treppe direkt ins Wohnzimmer. Softic will nämlich seinen Onkel und seine Tante aus Banja Luca retten. Noch vor seinen Eltern, denn denen geht es vergleichsweise „gut“ in Srebenica.

Doch all diese Anstrengungen haben nicht genützt: Das Ausländeramt hat seinen Besuchsantrag einfach abgeschmettert. „Sie verdienen zu wenig, um ihre Frau, ihre drei Kinder und zwei weitere Personen zu unterhalten — tut uns leid“, sagte ihm der Beamte. Familie Softic hat im Monat netto etwa 3.800 Mark.

Wer einen Flüchtling aus Bosnien aufnehmen will, muß sich verpflichten, für alle Kosten während des Besuchs aufzukommen.Um zu beweisen, daß er das zahlen kann, muß der Gastgeber dem Bremer Ausländeramt eine Lohnbescheinigung vorlegen. Der Staat will so verhindern, daß er den Flüchtlingen Sozialhilfe zahlen müßte. Ohne eine solche Verpflichtungserklärung können die bosnischen Verwandten kein Visum beim deutschen Konsulat beantragen. Denn ohne Visum läuft für BosnierInnen seit März gar nichts mehr. KroatInnen dagegen können ohne ein Visum einreisen — bei ihnen geht der deutsche Staat von einer prinzipiellen „Rückkehrwilligkeit“ aus.

„Wir legen zwar die Sozialhilfesätze bei der Berechnung des Lebensunterhaltes zugrunde, aber eigentlich sind wir da nicht pfennigfuchserisch“, sagt Holger Körting vom Ausländeramt. Im Fall von Softic aber offenbar doch. Dabei hätte die Gemeinde der jugoslawischen Moslems auch zusammengelegt, obwohl die rund 120 Familien schon selbst bis aufs Äußerste belastet sind. Die fünfköpfige Familie des Gemeindeleiters Izmet Hodzic etwa beherbergt weitere neun Personen. Doch das Ausländeramt wollte eine einzige Person als Bürgen.

„Vielleicht sind die Deutschen von Natur aus nicht in der Lage, zu helfen“, meint ein Moslem in der Männerrunde im Gemeindezentrum bitter. Doch so hart will das Ismet Hodzic nicht sehen: „Wir sind wütend — trotzdem müssen wir dankbar sein dafür, wie uns Deutschland und Österreich helfen“. Der Mann beharrt: „Wieso muß man so 100prozentig mit dem Gesetz umgehen?“

Bleibt bosnischen Flüchtlingen die illegale Einreise. Wer es nämlich unentdeckt bis Bremen schafft, kann einen Asylantrag stellen. Der wird zwar in der Regel abgelehnt, weil Krieg nicht als politische Verfolgung eines Einzelnen durch den Staat gewertet wird. Doch auch im Fall einer Ablehnung können bosnische Flüchtlinge hierbleiben, denn es gilt derzeit noch ein Abschiebestopp. Sie werden „geduldet“ und bekommen Sozialhilfe.

Doch Mehemed Softic ist ein ordentlicher Mensch, er will den legalen Weg gehen. Der Architekt Wolfgang Weiß hat ihm nun aus der Klemme geholfen und die Verpflichtungserklärung unterschrieben. Weiß verbürgt sich, daß dem deutschen Staat durch die Flüchtlinge keine Kosten entstehen. „Wenn du als Bosnier 3.800 Mark verdienst und eine Familie einladen willst, brauchst du einen Deutschen“, so sein Resümee. Weiß arbeitet in der Initiative „Bosnien-Hilfe“ mit. Die sucht dringend Menschen, die bosnische Flüchtlinge aufnehmen könnten. Auf eine Notiz Anfang der Woche haben sich 15 Leute gemeldet; fünf davon allerdings wollten ein Zimmer nur gegen Geld vermieten. Christine Holch