Auf der Suche nach dem „dritten Weg“

Nach der Spaltung der Kommunistischen Partei formiert sich die tschechische Linke neu / Streit um das materielle Erbe / Die Sozialdemokraten im Aufwind / Suche nach Koalitionspartnern  ■ Von Sabine Herre

Berlin (taz) – Wer es wagt, sich auch dreieinhalb Jahre nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Welt noch „Kommunist“ zu nennen, der muß den Mut der Verzweifelten haben. Oder den ungebrochenen Glauben an das bessere Morgen. Die Kommunisten der Tschechischen Republik haben beides. Und so lehnten sie es bei ihrem Parteitag Ende Juni erneut ab, sich in eine „Partei der Demokratischen Linken“ zu verwandeln. Denn, so die alles erklärende Auskunft aus der Parteizentrale, „warum sollten Kommunisten sich nicht Kommunisten nennen?“.

Nur mit größten Anstrengungen schafften es die Parteitagsdelegierten dann auch, sich von der innerparteilichen Gruppierung „Für den Sozialismus“ zu distanzieren. Zwar wurden herausragende Protagonisten der „Normalisierung“ unter Gustáv Husák aus der KP ausgeschlossen, der Sprecher der Gruppe, die sich eine Rückkehr zu den „Verhältnissen vor dem November 89“ zum Ziel gesetzt hat, blieb jedoch unbehelligt.

Lediglich eine Gruppe von 87 Delegierten um den 52jährigen Juristen Jozef Mečl wollte nicht länger „ihren Blick auf die Vergangenheit richten“ und beschlossen nun ihrerseits, eine neue „Partei der Demokratischen Linken“ (SDL) zu gründen. Auf ihre Fahnen schrieben sie den „dritten Weg“, dessen Chancen so groß wie nie zuvor seien. Denn, so der Gründungsaufruf, eine unsoziale Demokratie „sei die gleiche Illusion wie der reale Sozialismus“. Den Weg zu einer „sozialen und ökologischen Marktwirtschaft“ kennen freilich auch diese „Reformkommunisten“ nicht, doch wollen sie ihn „intensiv suchen“.

Die Abgrenzung von der KP dürfte jedoch nicht leicht fallen, und zumindest organisatorisch soll sie vorerst nicht stattfinden. Die Fraktion des „Linken Blockes“, ein Zusammenschluß aus KP, unabhängigen Linken, und SDL-Anhängern, der bei den Parlamentswahlen im Juni 1992 rund 13 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte und inzwischen auf 7 Prozent absank, soll sich nicht auflösen. Andererseits ist ein Teil der Parlamentarier des „Linken Blocks“ entschlossen, eine weitere Partei „als Alternative zu KP und SDL“ zu gründen.

Daß sich die tschechischen Linken trotz verbaler Versprechungen im Moment alles andere als grün sind, macht auch der Streit um das materielle Erbe deutlich. Da die SDL die Zahl der abtrünnigen Parteitagsdelegierten auf die Zahl der Parteimitglieder hochrechnet, reklamiert sie nun — vorerst — ein Drittel der kommunistischen Büroeinrichtungen für sich.

Wäre die Regierungskoalition der vier christlich-konservativen Parteien nicht selbst vom Spaltungsvirus befallen, könnte sie sich wahrlich über die zerstrittene Opposition freuen. Denn nicht nur die Kommunisten, auch die Sozialdemokratische Partei „ČSSD“ hatte monatelang mit der Befriedung der innerparteilichen Flügel zu tun. Und auch bei der ČSSD gipfelte der Prozeß der Neuorientierung schließlich bei ihrem Parteitag im Februar. Vier mehr oder weniger führende Parteimitglieder hatten ihren Anspruch auf den Parteivorsitz angemeldet. Daß der 48jährige Prognostiker Miloš Zeman dann als Sieger aus den parteiinternen Hahnenkämpfen hervorging, dürfte dieser zuallererst dem Wunsch nach einem wortgewaltigen Führer zu verdanken haben. Während Zemans Vorgänger und Konkurrenten den „konstruktiven Dialog“ mit den Konservativen gesucht hatten, sollte es der „Regierung nun an den Kragen gehen“. Daß Zeman bei seinen verbalen Attacken auch auf andere Sozialdemokraten die Grenzen der Geschmacklosigkeit nicht nur einmal überschritt, schien die wenigsten zu stören. Sie sahen Zeman als den neuen Gegenspieler von Ministerpräsident Václav Klaus.

Zeman hielt, was er versprach. Vier Monate nach seiner Wahl hatten sich die „gemäßigten“ Sozialdemokraten angepaßt oder die Partei verlassen, bei Meinungsumfragen lag die ČSSD Anfang Juli mit 13 Prozent hinter der Partei von Klaus (26%) an zweiter Stelle des Parteienspektrums. Noch bei den Wahlen 1992 waren sie über 6,5 Prozent nicht hinausgekommen. Freilich läßt sich dieser Popularitätszuwachs kaum auf Erfolge in programmatischen Auseinandersetzungen zurückführen. Denn damit tut sich die gesamte tschechische Linke angesichts der immer noch positiven Entwicklung der Wirtschaftsreformen der Monetaristen um Klaus nicht gerade leicht. Zwar erwarten Sozialdemokraten und Kommunisten seit Jahren den Zusammenbruch der tschechischen Industrie, aber die Arbeitslosenquote von unter vier Prozent zählt zu den niedrigsten Europas. Und während die Klagen über den sinkenden Lebensstandard der Bevölkerung zum Standardrepertoire jedes Oppositionspolitikers gehören, blieben große Protestaktionen bisher aus.

Und so konzentriert sich Zeman vor allem auf die Kritik der „großen Privatisierung“ der Staatsbetriebe. Im Unterschied zu Klaus, der eine weitreichende Streuung der Aktien unter der Bevölkerung durchsetzte, tritt der Sozialdemokrat für Belegschaftsaktien ein. Da die Arbeiter und Angestellten ein Interesse hätten, das Geschehen in ihren Betrieben mitzubestimmen, könne so der befürchtete massenhafte Verkauf der Bevölkerungsaktien an ausländische Unternehmen verhindert werden.

Ansonsten bekennen sich die Sozialdemokraten offen zum staatlichen Interventionismus. Angebots- und Nachfragepolitik, Unterstützung von Kultur, Wissenschaft und Gesundheitswesen, alle diese Punkte des neu verabschiedeten Parteiprogramms wurden in klarer Distanzierung zu der Partei des Ministerpräsidenten, die solche Eingriffe ablehnt, formuliert. Finanziert werden sollen die Ausgaben jedoch nicht durch Steuererhöhungen, sondern durch die Verschuldung des Staates. Und während kein Wort zu den umstrittenen tschechischen Kohle- und Atomkraftwerken, kein Wort auch zur Asylpolitik fällt, ist der „Kampf gegen das Verbrechen“ eine der vorrangigsten Forderungen des Parteiprogramms. Da die Bevölkerung angesichts der ständig wachsenden Kriminalität ein „hartes Vorgehen“ verlangt, fordert die ČSSD eine häufigere Anwendung des Strafmaßes „lebenslänglich“. Eine vorzeitige Begnadigung solle hier nicht möglich sein.

Doch selbst wenn die Sozialdemokraten sich seit einigen Monaten im Aufschwung befinden, so werden sie für die Übernahme der Regierung bei den nächsten Parlamentswahlen ohne Koalitionspartner kaum auskommen. Das weiß auch Zeman, und so hat er sich eifrig, doch ohne allzu großen Erfolg, um die Bildung eines „Realistischen Blocks“ bemüht. Ziel seines Werbens waren dabei nicht nur Christlichsoziale, Grüne und die Bauernpartei, sondern auch die „Bürgerbewegung“ Jiři Dienstbiers. Doch dort hält man sich, aus Furcht, in die linke Ecke gedrängt zu werden, vorsichtig zurück. Eine zu enge Allianz mit den links der ČSSD stehenden Gruppierungen fürchtet aus dem gleichen Grund wiederum Zeman. Eine Zusammenarbeit mit Kommunisten hat der 1970 wegen eines Vergleichs zwischen Kommunismus und Faschismus aus der KP Ausgeschlossene stets abgelehnt. Ob die ČSSD bereit sein wird, sich der neu entstehenden SDL zu öffnen, dürfte so in erster Linie von der öffentlichen Meinung abhängen. Honoriert diese die Abspaltung von der KP, ist für Zeman der Weg frei.

Jedwede Spekulation der weiteren Entwicklung der tschechischen Linken darf jedoch den vielleicht entscheidendsten Aspekt des politischen Geschehens der Tschechischen Republik nicht außer acht lassen: Der unendliche Teilungs- und Wiedervereinigungsprozeß des politischen Parteienspektrums hängt weniger von inhaltlichen Fragen als von den Ambitionen der Parteifürsten ab.