Accidental Hero

„Dave“, ein präsidialer Film für die Clinton-Ära von Ivan Reitmann  ■ Von Hannes Klug

Daß der Staat so praktisch handhabbar sei, daß eine Köchin ihn lenken kann, ist ein alter amerikanischer Traum. Roosevelts New Deal hat ihn, mit „Mr. Smith Goes to Washington“, damals ebenso entfesselt wie die JFK-Renaissance oder eben die Ära Reagan mit all den Terminators, die seinerzeit auf uns losgelassen wurden. Die Figur des einfachen Nobody (oder besser Everybody), der sich, unter Umgehung der verkommenen politischen Elite, direkt an das Volk wendet, ist auch der Stoff, aus dem Ivan Reitmann seine rasante Verwechslungskomödie „Dave“ gemacht hat.

Kevin Kline, der zur Zeit mit Steve Martin und Fred Murray um die Rolle des ideellen Gesamtkomikers wetteifert, gibt hier gleich zwei: den Präsidenten und sein Double Dave (in Amerika sind look-alike contests an der Tagesordnung).

Für gutes Geld gibt er also bei Werbespots und Kleinstadtfesten einen Instantpräsidenten, bis sie ihn plötzlich kalt erwischen. Während er im Auftrag des Secret Service den Präsidenten bei einem öffentlichen Auftritt doubeln soll, ereilt Mr. President himself in einem Hotelzimmer statt eines Orgasmus ein beidseitiger Gehirnschlag. Dave muß seine Rolle weiterspielen. Jetzt ist er Präsident, aber gleichzeitig nichts als ein optischer Platzhalter für den abwesenden Chef: der hohle, totale Repräsentant. Nicht nur in Anspielungen auf historische Peinlichkeiten verbirgt sich hinter dieser Konstellation die Philosophie einer ganzen politischen Kultur. Als Dave erstmals öffentlich sprechen muß, flüstern ihm seine Hinterleute notgedrungen jeden Satz hinter der Balkontür des Weißen Hauses hervor – eine Replik auf eine der größten Lachnummern Reagans, den Fernsehkameras einst in exakt derselben Situation ertappten. Die einzige Kunst der Amtsführung ist die Schauspielerei: auch das eine Lektion der Reagan-Jahre.

Daves neuer Amtsstil, der draußen im Land ankommt, als hätte der geistig vergreiste Landesvater eine Frischzellenkur hinter sich, macht die Öffentlichkeit zu seinem wichtigsten Verbündeten. Wo der wahre Präsident die völkische Maske aufsetzt, wenn er aus dem Hubschrauber klettert, ist der Schauspieler, der ihn doubelt, einfach nur er selbst, und damit einer von uns. Die Kopie ist allemal echter als das Original. Der authentische Präsident war ein fiktiver, politstrategisch erstellter Charakter. Dave ist der real existierende good guy. Der Ersatzmann, eigentlich nur gedacht als Marionette auf Zeit, macht sich die fiktive Befehlsgewalt, die er ganz offiziell besetzt, immer mehr zueigen, um den Kampf des guten Menschen gegen die politische Reaktion aufzunehmen. Willkommen Mr. Chance!

Er beruft Kongreßsitzungen und Pressekonferenzen ein, daß seinen Drahtziehern Hören und Sehen vergeht, streicht Rüstungsbudgets, entläßt Falken und fördert die Tauben (Ben Kingsley wie gehabt unter den letzteren). Wie in „Bob Roberts“, dem zweiten Präsidentenfilm der jüngsten Zeit, sind auch in „Dave“ Arbeits- und Obdachlosigkeit, die chronische Geldnot der Caritas die Signaturen der kranken Gesellschaft. Die politische Meinungsbildung ist in beiden Fällen Ergebnis totaler Fiktionalisierung. Bob Roberts ist der gefährliche Agitator, Dave Kovic entblößt den ganzen Irrsinn medialer Multiplikation durch einen obrigkeitlich orientierten Journalistentroß, der das Weiße Haus umschwirrt wie eine Schar Trabanten. Wie „Bob Roberts“ kokettiert auch „Dave“ mit dokumentarischen Elementen: Fernsehkorrespondenten, Kommentatoren und das „Crossfire“-Team von CNN spielen sich selbst. Auch echte Senatoren tun ihre Meinung zur politischen Entwicklung kund, rekrutiert vom Drehbuchautor Gary Ross, der jahrelang im Weißen Haus selbst ein Schattendasein als Redenschreiber fristete.

In politischer Naivität sieht der Film die einzige Waffe gegen hermetische und komplexe, strukturell nicht mehr nachzuvollziehende Machtmechanismen. Der Moralist trägt diesmal nicht Spruchbänder nach Washington, sondern sitzt selbst am Schaltpult. Einer überfliegt das Kuckucksnest des Weißen Hauses. Nur daß er die Anstalt leitet.

„Dave“ lebt als Komödie von dem Kontrast zwischen dem mittelklassigen Menschen und den Verhaltenscodes, die das Amt des Präsidenten etabliert hat. Als Dave zum ersten Mal im Präsidentensessel Platz nimmt, zeigt ihn die Kamera senkrecht von oben. Eine verfremdete, verwunderte Perspektive, die ihn erscheinen läßt, als käme er von einem anderen Stern. Als das Double auf dem Rednerpult einen Kugelschreiber mit dem Aufdruck „The White House“ findet, fragt er den Secret- Service-Mann gerührt, ob er ihn behalten darf. Die Namen der Regierungsmitglieder lernt er anhand von Pappkameraden, die um den Kabinettstisch gruppiert sind. Die Rezepte der Gewaltenteilung lehrt ihn der Stabschef per Zeigestock und Schaubild. Und irgendwie hat er all das, was die First Lady (Sigourney Weaver) immer in ihrem Gatten gesucht hat.

Für die Produktion ließ Regisseur Ivan Reitman den Westflügel des Weißen Hauses bis hin zu Mobiliar und Gemälden in einer Halle der Warner Brothers Studios detailgenau nachbauen. Erscheinungsbild wie Gestik von Kevin Kline orientieren sich auffallend am Äußeren von George Bush, dem der Schauspieler in manchen Szenen zum Verwechseln ähnlich sieht. Auch hier die fiktive Verdoppelung, die Konstruktion eines Imitats perfekt gelungen. Um einen Präsidenten im Medienzeitalter zu klonen, braucht es keine Genschleuse, sondern Puder, Schminke und einen guten Maskenbildner.

„Dave“. Regie: Ivan Reitmann. Kamera: Adam Greenburg. Mit: Kevin Kline, Sigourney Weaver und Ben Kingsley. USA 1993, 110 Min.