Die Königinnen der Leica

■ Ab heute: Dreiteilige Dokumentation über emigrierte jüdische Fotografinnen bei arte

Die 86jährige Ellen Auerbach beginnt den Tag in ihrer New Yorker Wohnung mit Kaffee, Toast, einem Buch und Radiomusik, bevor sie uns auf die Reise durch die Welt ihrer Fotos und damit ihres Lebens schickt. Nach einigen Jahren des Arbeitens in dem mit Grete Stern betriebenen Atelier „ringl+pits“ in Berlin emigriert die Jüdin Anfang der dreißiger Jahre nach Palästina und später in die USA, wo für Time Magazine und Columbia Masterworks oder auf Reisen durch diverse Kontinente Portraits, Landschafts-, Natur- und Tanzaufnahmen entstehen. Mit trockenem Witz plaudert sie aus ihrem Leben und macht uns so mit ihrem Denken vertraut. Da sind die „Tanzenden Bäume“, die sie 1959 in einem Olivenhain auf Mallorca aufnahm, eines ihrer bekanntesten Bilder. Zunächst glaubte sie, es sei nichts geworden. „Dann habe ich es im Negativ eigentlich schon erkannt, daß es ein sehr schönes Bild ist. Das ist durch mich durch fotografiert worden, von einem Teil von mir... Ich kann es auch manchmal das ,Dritte Auge‘ nennen. Und das läßt sich nicht bestellen.“ Für die Sucherin Ellen Auerbach ist die Fotografie das beste Medium, etwas Verstecktes aufzudecken. „Und wenn ich es irgendwo finde, bin ich sehr glücklich.

“Die 88jährige Grete Stern sitzt morgens auf ihrem Küchentisch in ihrer Wohnung in Buenos Aires und läßt die Beine baumeln. An einem Fuß hängt eine Plastiktüte voll Sand, die sie im Rahmen ihrer Bewegungstherapie bald an den anderen hängt. In chronologischer Abfolge führt sie uns dann mit der Hilfe ihrer Tochter und Gedächtnisstütze Silvia in die Welt ihrer Bilder: Portraits berühmter Künstler, Fotomontagen für eine psychoanalytische Zeitschrift, eine umfangreiche Dokumentation der soziokulturellen Lebensverhältnisse von argentinischen Indianern vom Gran Chaco Anfang der sechziger Jahre. Über ihre Indiodokumentation sagt sie: „Ich fotografiere, was ich sehe. Das ist ein Dokument und keine wissenschaftliche Arbeit. Und es sind ihre Gesichter, ihre Lebensweisen ...“ Fotos zu stellen kam für sie nicht in Frage.

Die 92jährige Ilse Bing schiebt sich mit ihrer Gehhilfe langsam auf das Sofa im Wohnzimmer ihrer New Yorker Wohnung zu: „New York celebrates the Arts“ prankt auf ihrem modisch designten T- Shirt. Die enorme Anstrengung, die die Schwerkranke beim Laufen und Sprechen aufbringt, verblaßt hinter dem flackernden Blick ihrer kindlichen Begeisterung, die sie vor allem bei der poetischen Schilderung ihres Verhältnisses zu Paris entwickelt. Lange vor ihrer Emigration erkannte die Jüdin, daß sie nicht zu denen gehörte, die über andere sprechen, sondern die es selber machen. Wenn die „Königin der Leica“ nicht für deutsche, französische und amerikanische Zeitschriften produzierte, arbeitete sie oft ohne Auftrag auf Inspiration. „Es hat sich mir offenbart, ohne daß ich gesucht habe ... Ich war wie eine Antenne, die aufnahm, was zu mir kam ... wenn du eine Antenne bist, dann bist du offen für das Unerwartete.

“Die Berliner Filmemacherin Antonia Lerch zwang ihr Publikum schon in mehreren Filmportraits, sich mit dem unterbelichteten Thema von Frauen im Alter zu beschäftigen. Dabei bewegte sie sich oft, wie hier im Film über Ilse Bing, im schmalen Grenzbereich zwischen Würde und Erbärmlichkeit.

„Ich nenne sie meine alten Königinnen auf verlassenem Throne“, erklärt sie. Ohne Kommentare gelingt es Lerch, zu zeigen, über wieviel Lebenskraft und Frische die drei Frauen in ihrem hohen Alter noch verfügen. Die Leichtigkeit der Filme täuscht den Eindruck vor, die Dreharbeiten hätten drei Nachmittage gedauert. Antonia Lerch hat die drei alten Fotografinnen wieder auf den Thron gehoben, der ihnen gebührt. Elke Krüger

Bei arte jeweils um 19.30 Uhr:

– heute: „Ellen Auerbach, Fotografin, geboren 1906“

– 23. Juli: „Grete Stern, Fotografin, geboren 1904“

– 30. Juli: „Ilse Bing, Fotografin, geboren 1899“