Kollaps hinter dicken Backsteinmauern

■ Strafanstalt „Santa Fu“ platzt aus allen Nähten / Nächstes Jahr Renovierungsbeginn?

Glaubt man dem Volksmund und der Bild-“Zeitung“, dann führen die 514 Insassen der Hamburger Strafanstalt Fuhlsbüttel (“Santa Fu“) hinter dicken Backsteinmauern ein „süßes Gefangenenleben“. Wilde Gerüchte kursieren über den „fidelen Knast“ mit Alkohol, Drogen und Sex. Seit den siebziger Jahren gilt „Santa Fu“ als die liberalste Haftanstalt Deutschlands.

Die Wirklichkeit in dem strahlenförmig angelegten Bau aus der Jahrhundertwende sieht anders aus. Selbst Anstaltsleiter Hans-Jürgen Kamp (45) räumt freimütig ein, daß ein moderner Strafvollzug, der die Gefangenen wieder auf ein Leben ohne Kriminalität außerhalb der Gefängnismauern vorbereiten soll, in „Santa Fu“ nur sehr eingeschränkt praktiziert werden kann. Der Alltag ist eher trist als fidel.

„Santa Fu“ platzt aus allen Nähten. Zwar sind in dem Gefängnis rein rechnerisch 20 Zellen frei, doch in dem maroden Gebäude können längst nicht alle Hafträume mehr belegt werden. Die berüchtigte Sicherheitsstation „Dora 1“, in der früher besonders gefährliche Gefangene saßen und Disziplinarstrafen vollstreckt wurden, ist inzwischen geschlossen. Aus dem veralteten Sielnetz schwappten immer wieder stinkende Fluten in die 23 Zellen der Sicherheitsstation.

Die alte Anstalt „Santa Fu“ soll langfristig durch kleinere Haftanstalten am Stadtrand ersetzt werden, in denen dann ein moderner Gruppenvollzug praktiziert werden kann. An diesem Plan hält Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit fest, auch wenn im kommenden Sparhaushalt 1994 keine Mittel für die riesigen Investionssummen vorgesehen sind. Um eine Verbesserung der Situation in „Santa Fu“ nicht auf den St.-Nimmerleins-Tag zu verschieben, soll aber noch im kommenden Jahr mit einer Renovierung des alten Gefängnisses begonnen werden. „Das ist ein Umzug auf Raten, denn jeder Umbau bringt eine Verringerung der Kapazität mit sich“, betonte die Senatorin. Doch bevor mit dem Umbau begonnen werden kann, müßte eigentlich einer der fünf Gefängnisflügel geräumt werden.Das ist in „Santa Fu“ aber nicht in Sicht.

Negativ wirkt sich auf die Anstalt aus, daß der Senat vor rund fünf Jahren die Vollzugsgemeinschaft mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen gekündigt hat. Bis dahin wurden in „Santa Fu“ auch die besonders „schweren Jungs“ aus den Nachbarländern aufgenommen, Hamburg konnte im Ausgleich Verurteilte mit kürzeren Haftstrafen an Anstalten außerhalb der Hansestadt abgeben. Rolf Richter (53), erfahrener Vollzugsleiter in Fuhlsbüttel, weiß, daß die „Kurzzeitstrafler“ Unruhe und erhöhten bürokratischen Aufwand in die Anstalt gebracht haben. „Jemand, der die nächsten zehn oder 15 Jahre hier Leben muß, ist viel kooperativer als jemand, der nach zehn Monaten wieder draußen ist.“

Die Vollzugsbeamten haben immer häufiger mit Drogensüchtigen zu tun, die draußen mit Einbrüchen, Dealen oder anderen Straftaten ihre Sucht finanzierten. Anstaltsleiter Kamp geht davon aus, daß gut 100 Gefangene – also rund 20 Prozent der Insassen –Drogen wie Heroin oder Kokain nehmen. „Wie in jeder Strafanstalt der Welt können wir nicht verhindern, daß Drogen in die Anstalt gelangen. Wir können ja keine Käseglocke über Santa Fu stülpen“, betont Kamp. Trotz strenger Kontrollen wird das Rauschgift von Freigängern, Besuchern und Lieferanten auf den abenteuerlichsten Wegen ins Gefängsnis geschmuggelt. „Wir haben auch schon gefüllte Tennisbälle gefunden, die von außen über die Mauer geworfen wurden.

Wie im gesamten Hamburger Strafvollzug fehlen auch in „Santa Fu“ Vollzugsbedienstete. 11,5 Stellen können derzeit in der größten Hamburger Stafanstalt nicht besetzt werden, in allen Anstalten der Hansestadt sind nach Angaben der Justizbehörde 28 Stellen offen. Der Landesverband Hamburgischer Strafvollzugsbediensteter spricht sogar von 100 unbesetzten Stellen. „Die Situation ist dramatisch. Wenn jetzt keine Sofortmaßnahmen ergriffen werden, droht dem Aufsichtsdienst in allen zwölf Gefängnissen der Zusammenbruch.“

Für die Zukunft scheint Besserung in Sicht: Bis zum Jahr 2000 will Hamburg jährlich über 100 Vollzugsbeamte ausbilden. Die schlechte Konjunkturlage in der freien Wirtschaft läßt die sicheren Jobs im Strafvollzug wieder attraktiv erscheinen, auch wenn die Vollzugsbeamten nicht zu den Spitzenverdienern im öffentlichen Dienst gehören. Christoph Dernbach