Theater, elektronisch

■ New Yorks berühmtestes Experimentiertheater, die Wooster Group, hat „Fish Story“ fertiggestellt. Die multimediale Sample-Show war in München zu sehen

Wird in der Musik gesampled, spricht sie jedem Originalinstrument Hohn. Auch das Theater höhnt Originalinstrumenten, sogenannten Schauspielern. Seit der Erfindung des Mikrophons kann jeder Verstärker das Stimmchen des Schauspielers manipulieren. So einfach dieses Verfahren auch ist, benutzt wird es nahezu nur von der New Yorker Wooster Group. Doch niemals hat die Wooster Group dem Instrument Schauspieler Hohn gesprochen.

Die Wooster Group liebt die Schauspieler. Die brachialgewaltige Kate Valk zum Beispiel, die ihre Stimme zu einem konstanten Dauerdonnern befördert und Pidgin-Englisch in feinstes Divertimento zu kippen versteht. Den Hollywood-Star Willem Dafoe zum Beispiel, der, sobald er den Mund aufmacht, fortwährend gluckst und gluckert, pfeift und zirpt und dennoch in feinstem Cockney dahersprudelt. Beide lassen ihre Stimme samplen, um Effekte zu erzielen – ein Gewitterregen bei Kate Valk, ein rauschender Bach bei Willem Dafoe.

Vor einem Jahr trat die Wooster Group mit „Fish Story“ eine erste Mini-Tournee durch Europa an. Sie zeigte, wie weit sie mit ihren Proben gediehen war und sammelte Geld fürs Weiterproben. Was sie damals bot, konnte unmöglich gefallen. Eugene O'Neills „Kaiser Jones“ – langweilig wie ein No-Drama. Ein selbsternannter Kaiser, einst Sklave, heute Diktator, flieht mit fünf Schuß im Revolver in den Wald. Dort holt ihn seine Vergangenheit in Form böser Geister ein, die er nach und nach erschießt. Nach dem fünften Schuß ist der Kaiser noch immer nicht gerettet – und es dauert, bis dieser fünfte Schuß endlich fällt.

Heuer geht es rasend schnell und dauert doch genauso lang. Die Stimmen von Kate Valk als Kaiser Brutus Jones und von Willem Dafoe als weißer Geschäftsmann Henry Smithers rauschen, der Rhythmus zündet. Sie haben ihre Sample-Maschine angeworfen, haben Musik hinzugemischt, haben mit rhythmischer Lust das Trockendrama gewässert und durchgespült. Sie haben es gegossen. Jetzt schmeckt es nach frisch Gezapftem, nicht mehr limonadig.

Elektronisches Theater, so legt es der Vergleich „vorher/nachher“ nahe, ist ein Provitamin für moderne Klassiker. Seit 1975 arbeitet die Wooster-Garage mit Multimedia und Performance. Seit 1975 hat sie Arthur Miller zur Verzweiflung getrieben, Elliot, Tschechow und Wilder verhunzt. Nach O'Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist dieser mit „Kaiser Jones“ schon zum zweiten Male reif. „Fish Story“, so der Titel der in München zum „Theater der Welt“ komplettierten Kompilation aus O'Neill und Tschechows „Drei Schwestern“ (4. Akt, Werschinins Abschied) ist eine Sample-Show auf der Grundlage des japanischen Arbeiter- und Bauerntheaters „Geinin“ – eines No- Theaters für Arme. Diese einstigen Wandertheater, so sie noch existieren, unterhalten heute Touristen in japanischen Kurhotels. Die langgestreckte Bühne ist leicht erhöht, dahinter ein Diener, der die Requisiten anreicht oder abnimmt, zwei Schmuddelkimonos und für die Tänzchen zwei heilige Tanzmützen.

Videomonitore stehen am Rand der Bühne. Eine Fliegenklatsche saust auf einen Monitor herab. Auf dem Fernsehschirm erscheint die tote Fliege, die an der roten Plastikklatsche klebt. Das Geinin-Theater, so die Wooster Group, möchte sich heute langweilen. Es schaut Fernsehen, jenes Medium, das seine einstige Existenz zerstörte. Es wartet auf den verspäteten Touristenbus. Sie hampeln auf der Bühne, angeln, klatschen Fliegen und tanzen australische Aborigines-Tänze. Das ist wundersam anzusehen, weil so natürlich – trotz und wegen Tekkno, Video, Sampling, Kompilation.

Das Wunder der Wooster Group ist ihre Gemütlichkeit im Umgang mit elektronischen Medien. Die Elektronik ist nicht nur Verstärker, sondern rhythmisierende Mitspielerin. Der Mann am Regler scheut sich nicht, aufzustehen und zwei Holzlatten wie Trommelstöcke zu schlagen. Das Mikrophon steht auch der Souffleuse zur Verfügung. Ron Vawter gießt sich auf Video literweise Glycerin in die tränenden Augen, um Werschinins ergriffenen Abschied von den drei Schwestern aufzusagen. Alle sind happy, im Grunde aber todunglücklich.

Denn bevor irgendein anderes Theater den Stand solch warmen Multimedia-Theaters erlangt hat, droht den Woosters zum wiederholten Male das Aus. Aids und fehlendes Geld zehren. Es ist deutlich, daß den Woosters Probenzeit fehlt. Sie arbeiten unendlich langsam, kommen in ihren Prozessen kaum voran, weil immerzu ein Mitglied mit Flimaufnahmen oder Hamburgerbacken beschäftigt ist. Sie zehren von ihrer Legende und zehren sie allmählich auf. Das Wunder aber bleibt, da wir noch keine Gruppe gesehen haben, die dieses Theater des 21. Jahrhunderts ähnlich menschlich, dabei ähnlich avanciert fortsetzt. Den Woosters droht nur, kinderlos ins Gras zu beißen. Arnd Wesemann