„Sie ist nicht die richtige Frau“

„Kämpferinnen“ wie Herta Däubler-Gmelin sind nach Unions-Ansicht in Karlsruhe unerwünscht / Schäuble und Co. blocken damit Nachfolge von Verfassungsrichter Mahrenholz  ■ Von Julia Albrecht

Heute wäre sein erster freier Tag. Wäre – wenn es eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für den Vorsitzenden des Zweiten Senats und stellvertretenden Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz, gäbe. Den gibt es aber nicht, und das hat Gründe. Die Union, die in dem zuständigen „Wahlmännerausschuß“ sechs von zwölf Stimmen hat, will die von der SPD vorgestellte Kandidatin Herta Däubler-Gmelin nicht. Da es zu ihrer Wahl einer Zweidrittelmehrheit bedarf, wird die CDU auch fürderhin die Wahl von Herta Däubler-Gmelin verhindern können. „Sie ist nicht die richtige Frau“, sagte noch vor wenigen Wochen Erwin Marschewski, CDU, und: „Wir brauchen jemanden, der nicht in der ersten Reihe der kämpferischen Politik steht.“

Von der Verhinderer-Fraktion wird Däubler-Gmelin vor allem die geforderte Objektivität in Abrede gestellt, die sie als Verfassungsrichterin üben muß. Gemalt wird das Bild einer linken Kämpferin, die die Position als Bundesverfassungsrichterin gnadenlos zur Fortsetzung ihrer politischen Ambitionen ausnützen würde. Vermieden werden soll eine klarköpfige und scharfsichtige Demokratin, die sich seit Jahrzehnten den Rechten der Frauen verpflichtet sieht, die sich für AusländerInnen einsetzt – sie hat noch vor der Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen, FDP, einen liberalen Entwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts entworfen. Als Verfassungsrichterin käme sie der Hoffnung vieler entgegen. Daß die Wahl hochrangiger Politiker – Roman Herzog, Ernst Benda oder Gebhard Müller hatten alle als CDU-Mitglieder Ministerpräsidenten- beziehungsweise Ministerämter inne – kein Gegenargument darstellt, bleibt unerwähnt. Das ist das eine. Zum anderen wird von seiten der Union nicht nur gegen Herta Däubler-Gmelin persönlich polemisiert, sondern das Verhalten der SPD ins Visier genommen, die mit dem Herta- Vorschlag an die Öffenlichkeit gegangen ist. Ihr wird die Verletzung altehrwürdiger Prinzipien vorgeworfen, wonach der oder die Kandidat/in in aller Stille und hinter verschlossenen Türen auszuhandeln ist und erst nach der Wahl der Öffentlichkeit präsentiert wird. Schäuble: „In einer Zeit, in der das Vertrauen der Bürger in die Parteien und in die demokratischen Institutionen stark gesunken ist, muß alles vermieden werden, was auch nur den Anschein erweckt, als sei die Besetzung der höchsten und angesehensten Richterämter dem Parteienschacher unterworfen und folge den Gesetzen eines orientalischen Bazars.“ Die Empörung hatte eingesetzt, nachdem der in aller Stille ausgehandelte Bundestagsabgeordnete Jürgen Schmude, der „nach intensiven vertraulichen Gesprächen im Wahlmännergremium als konsensfähig anerkannt worden“ war (Schäuble), seine Kandidatur zu Gunsten Herta Däubler-Gmelins zurückgezogen hatte. Fazit: „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt deshalb fest, daß die Konsensfähigkeit des von der SPD gemachten Vorschlags aufgrund des von ihr zu verantwortenden öffentlichen Gerangels nicht mehr gegeben ist.“

Die Vorwürfe des öffentlichen Gerangels und der Bazar-Mentalität indes verweisen genau auf das Übel bei den Wahlen der Verfassungsrichter. Doch das will die Union nicht diskutiert wissen. Die bisherige Klüngel-Praxis ist nirgends gesetzlich fixiert. Das derzeit wählende Sechs-Personen-Gremium mit dem verheißungsvollen Titel „Wahlmännergremium“ ist zwar gesetzlich geregelt, widerspricht aber der Verfassung. Dort nämlich heißt es in Artikel 94 Absatz 1, daß die Hälfte der Richter „vom Bundestag“, also vom Plenum des Bundestags zu wählen ist, öffentlich also und unter Beteiligung aller – nicht hinter verschlossenen Türen. Was wird aber nun mit Ernst Gottfried Mahrenholz, wenn der doch eigentlich in Pension gehen dürfte? Mahrenholz wird und darf den Zweiten Senat nicht verlassen, bis eine Nachfolge nominiert ist. Da das „Wahlmännergremium“ sich im Moment nicht auf Herta Däubler-Gmelin einigen kann und die SPD, die für die Mahrenholz-Nachfolge das Vorschlagsrecht hat, auf der Kandidatin beharren will, könnte als nächstes ein sogenannter Dreiervorschlag vom Bundesverfassungsgericht an die Adresse der „Wahlmänner“ gehen. Muß aber nicht. Mahrenholz selbst sagt zur Frage, ob es vom Gericht einen Dreiervorschlag geben wird: „Von mir gibt es ein klares Nein.“

Die SPD kann also in aller Ruhe auf Herta Däubler-Gmelin setzen und warten. Warten bis zum 19. Juli 1995, wenn Johann Friedrich Henschel aus dem Ersten Senat ausscheidet. Dann hat die CDU wieder ein Vorschlagsrecht (auch wenn sie dies an die FDP abgeben kann) und ist ihrerseits angewiesen auf die Zustimmung der im „Wahlmännergremium“ sitzenden SPD- Kollegen. Die SPD setzt auf Konsens, auch wenn dies nur über den momentanen Streit möglich ist.

Auch nachdem Rudolf Scharping Herta Däubler-Gmelin als Mitglied seines Wahlkampfteams – zuständig für Justiz – vorgestellt hat, bleibt klar: Für den Ministerinnenposten steht sie nicht zur Verfügung – sie soll(te) Verfassungsrichterin werden.