Gruß an Rudi D. auf seiner Wolke!

Jede heranwachsende Generation hinterfragt den Wertkonsens gesellschaftlicher Realitäten. Die Generation der Spätsechziger war nicht anders. Es ging ihnen um die Frage nach neuen, weniger angestaubten Lebensstilen, was sich ausdrückte in dem Begehren nach Schlaghosen, Blumenhemden und freier Liebe. Einige findige Reporter machten daraus die Story des Jahrzehnts. Zwar suchte man die willigen, peacerauchenden Blumenmädchen an Londons Straßenecken vergeblich, aber die Welt glaubte an diesen Mythos, und einige begannen, ihn zu leben.

Die Alten reagierten so, wie man es von ihnen erwarten mußte: Sie waren zutiefst empört und begannen, sich vor ihren Kindern zur fürchten. Selbst in Deutschland faszinierte die Idee des „Make Love – Not War“, aber auch hier stand die deutsche Mentalität im Weg. Peace, Love and Happening wurden in pseudomarxistischen Zirkeln zerredet. Die Revolution war zum Scheitern verurteilt, noch bevor sie begonnen hatte. Kommunen, Kinderläden und Cannabis reichten nicht für den Umsturz.

So tauchten schließlich einige frustriert in den Untergrund ab und begannen das „Schweinesystem“ auf ihre Art zu bekämpfen. Der große Rest wurde irgendwann mehr oder weniger bürgerlich.

Und was blieb uns von damals? Eine liberalere Gesellschaft, die Wertvorstellungen und Ideologien zur Beliebigkeit hat degradieren lassen. Und die Kinder der 68er? Wertfrei aufgewachsen im ständig steigenden Wohlstandsrausch, wurden sie zu gewissenlosen, vergnügungsgeilen und brutal egoistischen Hedonisten, die Lebensqualität ausschließlich über Konsum definieren. Die Probleme unserer Gesellschaft gipfeln in der Frage, ob Politiker in Talkshows wirklich mit poppigen Krawatten auftreten dürfen. Die täglichen Bilder des Grauens auf der Welt stören unser ästhetisches Empfinden, werden ausgeblendet und bewußt verdrängt. Und an den Unis? Tausende von begeisterungsfähigen, kreativen Köpfen, die über den Tellerrand ihres Fachbereichs in die Zukunft blicken? Leider weit gefehlt! Jeder ein braver, stromlinienförmiger Individualist, der sich höchstens dann gegen die Gesellschaft auflehnt, wenn der monatliche Scheck von den Eltern ausbleibt. Engagement außerhalb der eigenen Karriere ist von diesen Fischen nicht zu erwarten.

Solltet ihr von uns jetzt aber irgendwelche Lösungsvorschläge zur Überwindung der Krise erwarten, dann tut es uns leid. Wir sind nämlich genauso fischig. Es ist ein amüsantes Vergnügen, unsere Gesellschaft immer mehr in den kulturellen und politischen Niedergang abgleiten zu sehen. Gruß an Rudi D. auf seiner Wolke! Christian Steyer,

Marc-O. Günter, Bensheim