„Die Polizei kann uns nicht schützen“

Das Frankfurter Multikulti-Viertel Gallus: Verantwortungslose Vermieter, rüde Polizei und Nachtwachen von Ausländern / Aber „Zuversicht in düsteren Zeiten“  ■ Aus Frankfurt K.-P. Klingelschmitt

Seylan Tüfek ist Hausmeister in der Mietskaserne Frankenallee 222 im Frankfurter Gallusviertel. Zusammen mit seiner Frau versucht der junge Türke im Kampf mit dem deutschen Vermieter aus der Nachbarschaft das ausschließlich von AusländerInnen aus der Türkei, Bosnien und Kroatien bewohnte Haus mit seinen 20 Zimmern und zwei Einliegerwohnungen in Schuß zu halten. Meist vergeblich: das Schloß der Hinterhaustür fehlt seit Jahren, im gesamten Haus gibt es keinen einzigen Feuerlöscher. Und das Hoftor kann nicht abgeschlossen werden, weil keine(r) der MieterInnen dafür einen Schlüssel hat.

Seit den mörderischen Brandanschlägen von Mölln und Solingen sind Seylan und die anderen HausbewohnerInnen noch sensibler geworden – in Sicherheitsfragen. Und seit der Bombendrohung gegen ihr eigenes Haus am vergangenen Mittwoch haben Seylan Tüfek und seine Frau jedes Vertrauen in die deutschen Sicherheitsorgane und in die deutschen KommunalpolitikerInnen verloren. „Wir erwarten nichts mehr von der Polizei und von der Politik – auch nicht von den Roten und Grünen im Römer“, sagt Tüfek verbittert.

„Alle Türken sollen verbrennen, auch in diesem Haus. Ab 24 Uhr wird hier eine Bombe hochgehen.“ Das jedenfalls stand auf einem an die Haustüre der Frankenallee 222 geklebten Zettel. Die Tüfeks verständigten die Polizei. Doch die Beamten, so Seylan Tüfek hätten nicht einmal nach einer Bombe gesucht. Tüfek: „Die haben in den Keller geguckt und ins Treppenhaus. Das war alles.“

Weil die Polizei sich nicht kümmerte, organisierten die HausbewohnerInnen und MigrantInnen aus dem „Café Morgenland“ eine Nachtwache. In der Nacht kam dann die Polizei – mit fünf Streifenwagen und zwei VW-Bussen des Überfallkommandos. „Nächtliche Ruhestörung“ warfen die Beamten den Migranten und Deutschen vor, die sich vor der Frankenallee 222 postiert hatten. „Die haben uns sofort eingekesselt und wollten unsere Personalien überprüfen“, sagt ein junger Ausländer aus dem „Café Morgenland“.

Die AusländerInnen im sogenannten multikulturellen Musterviertel der Mainmetropole werden sich jetzt selbst helfen: Mit einer Telefonkette wollen sie in Zukunft rasch Beistand für eventuell bedrohte Häuser herbeirufen. In der Nacht soll in Gruppen vor gefährdeten Objekten parouilliert werden. Und in allen von AusländerInnen bewohnten Häusern wollen sie dafür sorgen, daß die Sicherheitsstandards verbessert werden. Tüfek: „Die Polizei kann oder will uns nicht schützen. Wir müssen jetzt zur Selbsthilfe greifen.“

Nach den ersten beiden Brandanschlägen auf das Haus Frankenallee 122 vor zehn Tagen, denen am vergangenen Dienstag ein dritter folgte, hatten Mitglieder antirassistischer Initiativen im Gespräch mit der taz die Meinung vertreten, daß die Täter „auf keinem Fall aus dem Viertel“ stammen würden: „Wir kennen unsere rechten Pappenheimer und haben alles im Griff.“ Daß die Polizei am Dienstag abend eine 38jährige Jordanierin aus der Frankenallee 122 festgenommen hat, die alle drei Brände gelegt haben soll, spricht für diese These. Dennoch: Für Irene Katheeb vom Amt für multikulturelle Angelegenheiten sind solche Mutmaßungen eine „Anmaßung“. In dem Frankfurter Stadtteil mit dem höchsten Ausländeranteil gebe es schließlich „seit Jahr und Tag“ aktive Rechte. Und der Kommunalwahlerfolg der Reps im Viertel – knapp 15 Prozent – habe der gewaltbereiten Szene sicher einen zusätzlichen Motivationsschub beschert, sagt Katheeb. Wer die einschlägigen Kneipen aufsucht oder sich an den Wasserhäuschen zu den arbeitslosen Männern mit dem Hang zum Flaschenbierkonsum gesellt, bekommt eine Ahnung davon, wie aggressiv ausländerfeindlich die Stimmung unter den sogenannten Modernisierungsverlieren im Viertel bereits ist. Da sei viel Neid auf die intakten Familienstrukturen bei den Ausländern, auf deren florierende Lebensmittellädchen, kleinen Handwerksbetriebe und Lokale mit im Spiel, meint Irene Katheeb. Es gärt im einst „roten Gallus“. „Die Mörder kommen aus der Nachbarschaft“ hatten die von drei Brandanschlägen geschocken AusländerInnen im Haus Frankenallee 122 nach der ersten vereitelten Mordbrennerei erklärt. Auch wenn sich letztendlich herausstellen sollte, daß die Brände in der Frankenallee 122 tätsächlich von einer möglicherweise geistig verwirrten Jordanierin gelegt wurden — an der explosiven Gemengelage im Viertel ändert das nichts: Gerade die oft unsensibel reagierende Polizei hat mit dazu beigetragen, daß sich die FrankfurterInnen mit ausländischen Pässen auch in ihrem Gallus – trotz aller Bemühungen etwa des Multikulti-Amtes und lokaler Initiativen – noch immer als BürgerInnen zweiter Klasse fühlen: Permanent hätten sie „entwürdigende Durchsuchungen“ und Ausweiskontrollen durch die Polizei zu ertragen, heißt es im „Café Morgenland“. Daneben sehen sich viele der aufgrund der zusammengebrochenen industriellen Infrastruktur des alten Arbeiterviertels Gallus an den Rand gedrängten Deutschen von „Überfremdung“ bedroht und sind deshalb anfällig für die rechtsradikale Hetze.

Im Gallus, sagt Irene Katheeb, gebe es dennoch nicht die Ausländer auf der einen und die Deutschen auf der anderen Seite, sonderen auch zahlreiche deutsch- ausländische Projekte und gemeinsame soziale und politische Interessen. Genau das, so Katheeb, sorge auch für „Zuversicht in diesen düsteren Zeiten“. Schließlich würden im Gallus Menschen aus mehr als hundert verschiedenen Nationen seit rund zehn Jahren relativ friedlich zusammen leben: „Und das soll auch so bleiben.“