■ Wohin mit den Kadavern unserer Vierbeiner?
: Die Ruhestatt der lieben Tierchen

Duisburg (taz) – In Frieden ruht hier keine Sau. Hunde und Katzen sind es, die hier begraben liegen. Und es ist laut: Eingezwängt zwischen toten Bahngleisen und der ewig tosenden Autobahn liegt der Duisburger Tierfriedhof. Hier bellt man deutsch. „Vereinsfremden Personen ist es nicht gestattet, das Gelände zu betreten“, schnauzt ein Senior, würdig mit Anzug angetan, der zwischen den sommerlich bunten Rabatten einherschreitet. Aber schon bald ist der alte Mann recht zutraulich. Schließlich lädt er sogar zur Begehung des mit zwei Meter hohen Zäunen und Stacheldraht gesicherten Areals ein. Der Pensionär ist wegen seiner Bambi da, die hier in Frieden ruht. Schon 24 Jahre lang befindet sich der kleine Hund in seinem kleinen Grab. Ein Schwämmchen und ein Eimerlein stehen auf der steinernen Grabeinfassung. „Unter unseren toten Tieren liegt eine Pipeline“, klagt der Greis, „die verölt uns das Gießwasser.“ Ein Umstand, der so gar nicht zum pittoresken Oberflächeneindruck passen will. Denn auf fast allen der mehr als 200 Grabstätten ist frischer Blumenschmuck zu sehen. Grabsteine aus edlen Mineralien krönen die gepflegten kleinkindergroßen Gräber. Ein Triptychon von weißem Marmor gibt Auskunft über die drei Hundeleben der Familie Pinzler. Seite an Seite liegen hier Bobby (1975-1988), Teddylein (1948-1963) und Möhrchen (1963-1976). „Die Liegenschaft wurde unserem Friedhofsverein schon 1963 von der Kommune zur Verfügung gestellt“, erläutert die Frau des Vereinsvorsitzenden. Die Dame hat auf Duisburgs Kleintier-Friedhof ihren Pudel zu Grabe getragen, 14 Jahre und zwei Monate alt ist „unser kleiner Sonnenschein“ geworden. Kaisoon, der große Hengst, hat drei Kilometer weiter nördlich sein Momument. Im Zoologischen Garten errichtete man ihm, der 400 Nachkommen zeugte, ein Ehrenmal. Aber die Reste des Promi- Gaules wurden nicht verscharrt. „Unsere Großkadaver, Pferde oder Elefanten etwa, gehen grundsätzlich zum Abdecker“, teilt man aus dem Sekretariat des Zoodirektors mit. Es sei denn, es handelt sich um „große Raritäten“. Die raren Viecher werden „zunächst tiefgefroren, dann abgezogen und präpariert“. Häufig wird das frische Fleisch der toten Tiere auch an ihre lebenden Artgenossen verfüttert. Vorausgesetzt, der Tierarzt gibt dazu sein Einverständnis. Und manchmal, wenn „ein Hirsch von gutem Fleisch wegen einer Forkelei ums Leben kommt, kann das durchaus an den Feinkost-Händler verkauft werden.“ Aber in der Regel unterliegen Tierkadaver der Gefahrstoffverordnung. „Zumindest dann, wenn die Gefahr besteht, daß ekelerregende Flüssigkeiten austreten“, erklärt der Regierungspräsident in Düsseldorf – jene Behörde, die die organisierte „Entsorgungssicherheit im Rahmen des Tierkörper-Beseitigungsplans“ kontrolliert. Die Prozedur der Kadaverliquidierung bezieht sich hauptsächlich auf Schlachtabfälle. Immerhin werden hierzulande gegenwärtig jährlich mehr als 36 Millionen Schweine, fünf Millionen Rinder und mehr als 300.000 Tonnen Geflügel abgeschlachtet. „Hierbei fallen mehr als 1,3 Millionen Tonnen schlachtfrische Knochen, Fleischteile und andere Schlachtnebenprodukte an, die für die menschliche Ernährung nicht verwendet werden“, freut sich der Bundesverband der Fleischmehlindustrie.

Das animalische Leichenteil- Recycling ist für die Zunft der Abdecker das täglich Brot. Dagegen sind die wenigen verblichenen Haustiere und das, was Polizei und Ordnungsamt bisweilen von der Straße kratzen, im Vergleich zum Schlachtabfall nur Kleinvieh. Die Überreste werden von den Tierärzten oder den Kommunen – wie etwa im Tierleichen-Kühlraum der Stadt Düsseldorf – zentral gesammelt. Bis der Abdecker damit abdackelt. Damit die Haustierfreunde den schweren Gang zum Kühlraum nicht selbst antreten müssen, gibt es in Düsseldorf sogar ein Tiertaxi. Der Tierchauffeur Helmut Fischer fährt die toten Tiere zum üblichen Taxitarif den letzten Weg entlang. Den Arbeitsgang des toten Fleisches in den Abdeckereien zu rekonstruieren, gestaltet sich dagegen äußerst dornenreich. Der schlichte Grund: „Die wollen das nicht“, meint Frau Henneweer, ein Vorstandsmitglied des Essener Katzenschutzbundes. Nicht nur vor ambitionierten Tierfreundinnen verschließen die Tierkörperverwertungsanstalten ihre Tore. „Wir sind froh, wenn man so wenig wie möglich von uns sieht oder hört“, bekannt man ehrlich bei der Oberhausener Firma Koch. „Die Anwohner nutzen jede Gelegenheit, sich überall zu beschweren.“ Beispielsweise über Geruchsbelästigungen. Selbst unabhängig von dem Gestankbedenken ist der Verband Fleischmehlindustrie e.V. nicht daran interessiert, daß durch Einblicke in den Produktionsprozeß „auf die ethische Tränendrüse gedrückt wird“, wie dessen Geschäftsführer Niemann in Bonn es formuliert. Denn Bilder von den Abdecker-Innereien seien „nicht immer angenehm“. Deswegen ist bei den Unternehmen „das Fotografieren unerwünscht“.

Statt dessen verschicken die Interessenvertreter des deutschen Abdeckergewerbes „als Kompromiß“ blitzschnell ein Werbevideo. Der schlechte Streifen zeigt geschönte Bilder. Dazu doziert ein Sprecher aus dem Off: „Die Schneckenwelle ist von einem massiven Seierkorb umgeben. Das abgepresste Fett fällt durch die einzelnen Seierstäbe aus, tropft in die Fett-Sammelwanne und wird mittels der Fett-Austragungsschnecken weiterbefördert.“ 150.000 Tonnen Tierfett jährlich werden derart abgeseit. Außerdem fallen mehr als 400.000 Tonnen Tiermehl dabei ab. Damit dieses Werk gelingt, tritt „der Preßkuchen über einen verstellbaren Spaltaustritt aus. Grobe Verunreinigungen werden im Trubabscheider ausgesiebt.“

Charlie, Ramona, Odea oder Daggy ist der Trubabscheider erspart geblieben. Diese Kadaver sind auf dem Bochumer Tierfriedhof bestattet. Baffy auch, die Cockerspaniel-Hündin liegt seit 1990 dort. Ihr Ex-Herrchen, der Dortmunder Mineralöl-Großhändler Josef Östreich, ist immer noch mächtig stolz auf sein geliebtes Tierchen. „Die Baffy wurde gebadet, geputzt, gepudert wie ein Mensch“, erinnert er sich mit Wonne. „Und“, flüstert der Mann geheimnisvoll, „die wurde viermal pro Tag befriedigt, zehn Jahre lang, meine Frau hat das gemacht, das gibt's nicht wieder.“

Während am Samstagnachmittag brennend die Sonne scheint, versammeln sich die Grabbesitzer am Ernestineweg zum monatlichen Verschönern der Gräber ihrer Herzileins. Einige Vogelhäuschen haben die Tierfreunde im Winter an die Bäume genagelt. Denn „der Tierfriedhof dient auch der Arterhaltung einheimischer Kleintiere“, legt die Satzung fest. Trotzdem seufzt Anke Schölzel: „Die Kaninchen fressen uns immer die Blumen weg.“ Nur die niedlichen Karnickel auf dem Farbposter in der Friedhofshütte sind ungefährlich. Ähnlich possierlich war wohl auch Frau Grübers Katze. Jetzt ist Pinkie tot, sie verstarb nach langer schwerer Krankheit. Eine Diabetes und eine Lungenentzündung haben sie dahingerafft. Selbst eine Herzmassage durch die Tierärztin hat dem zwölf Jahre alten Tier nicht mehr helfen können. Folglich steht Herr Lauer mit Hacke und Spaten bereit.

Der Bestatter wickelt die etwa zehn Beerdigungen ab, die monatlich in Bochum anfallen. Nach dem an der Pforte zu besichtigenden Mustergrab, erhältlich für 140 Mark im Jahr, hat der Friedhofsgärtner ein 70 Zentimeter tiefes Loch ausgehoben. Die Gebührenordnung bestimmt: „Zwei Jahre Mindestliegedauer.“ Kauft man nach deren Ablauf nicht weitere Liegejahre dazu – die meisten Menschen tun das –, dann legt Herr Lauer die „noch nicht ganz verwesten Kadaver einfach tiefer“, sagt er profan. Des Bestatters schwerster Brocken war ein Neufundländer. „Den mußten wir mit vier Mann auf einer Bahre hier reintragen“. Doch Frau Grüber interessiert das sicher nicht. Sie hält Pinkie, in eine rosa Decke geschlungen, senkt sie sanft ins Grab und fängt an zu weinen. Geschwind schwingt der Bestatter die Schaufel, das Grab ist bald geschlossen. „Können wir jetzt den Schriftkram machen?“ fragt er pietätlos den Sohn der alten Dame. „Ich kann Ihre Trauer nachvollziehen“, kondoliert eine junge Frau; sie pflegt das Nachbargrab, der Trauernden, „unsere Mieze starb durch Schlaganfall, mit 15 Jahren.“ Einmal die Woche kommt sie von Wuppertal zu ihrer Mieze Grab, ihren Anorak ziert ein Kunstfellkragen. „Wer einmal mit Tieren zusammengelebt hat, der wird nicht bestreiten können, daß Tiere beseelte Lebewesen sind“, spricht Eberhard Röhring. Der Mann ist evangelischer Pfarrer und der Tierbeauftragte der rheinischen Landeskirche. Thomas Meiser