Keine Nation für ungesunde Menschen

■ Anonym ist ein Aids-Test in Ungarn nur, solange er negativ ausfällt

Aufklärung über Aids kommt in Ungarn, wenn überhaupt, in Form eines jungdynamischen, vor allem aber antipromisken Liebespaares vor – frei nach dem einstigen Wahlkampfmotto der Regierungspartei Ungarisches Demokratisches Forum: „Gott, Familie, Vaterland!“ Auf den spärlichen Plakaten und Zeitungsanzeigen, die zu einem „garantiert anonymen und kostenlosen“ Aids-Test ermuntern, wartet ein Großstadtcowboy im Dunkeln lässig an eine Mauer gelehnt, in der Hand eine Blume, offenbar auf seine Freundin.

Anonym ist dieser Test nur solange, wie er negativ ausfällt. Andernfalls müssen nicht nur die Betroffenen ihre Daten preisgeben – Zwangsuntersuchungen sind „bei entsprechendem Verdacht“ auch für Verwandte, FreundInnen und Bekannte fällig. Die Verordnung des Gesundheitsministeriums von 1988, die dies vorschreibt, ordnet HIV-Tests außerdem für Strafgefangene, JugendheimbewohnerInnen und „intravenöse“ Drogenkonsumenten an.

Große Aufmerksamkeit ruft das unter den UngarInnen allerdings nicht hervor. Das mag zum einen an der geringen Zahl von Infizierten und Kranken liegen. 331 Fälle von HIV-positiven Personen sind seit August 1985 registriert worden, 263 davon sind oder waren ungarische StaatsbürgerInnen. Von den 122 Aidskranken, die die Gesundheitsbehörden registrierten, leben noch 58. Ungarn habe in puncto Aids noch immer einen „fünf- bis sechsjährigen Rückstand gegenüber westeuropäischen Ländern zu verzeichnen, so das Landesgesundheitsamt.

Lajos Romsauer, Psychiater und Vorsitzender des 1988 gegründeten Schwulenverbands „Homeros“, beklagt demgegenüber, es gebe in Ungarn praktisch keine Aufklärung über Aids. Darüber hinaus werde die Krankheit von der Gesellschaft in einen negativen Zusammenhang mit Homosexualität gestellt. „Als wir uns gründeten, besserte sich die Atmosphäre uns gegenüber langsam. Aber seit es auch hier mehr Aids-Fälle gibt, merken wir, wie die Toleranz immer mehr abnimmt.“ Romsauer betont, daß „nicht 100 und nicht 99, sondern lediglich etwa 60 Prozent“ der HIV-Positiven und Aidskranken homosexuell seien. Die Ablehnung von HIV-Positiven sei allerdings auch unter Homosexuellen weit verbreitet. Romsauer hat 1988 mit Freunden die „Anonyme Aids-Beratung“ gegründet, die einzig wirkliche anonyme Einrichtung“, wie er sagt. Eine Übereinkunft, die die Beratungsstelle mit einem Budapester Krankenhaus geschlossen hat, sichert Anonymität auch bei stationärer Behandlung zu. Derzeit fehlt allerdings das Geld für langfristige Perspektiven. Romsauer begründet dies mit den leeren Kassen des Staates. Dennoch wird es manchen ungarischen Politiker freuen, daß die „Warmen“ nicht mehr unterstützt werden. Denn, so der christlich-demokratische Parlamentsabgeordnete Dr. György Giczy: „Unsere Gesellschaft ist für normale und nicht für solche ungesunden Menschen gedacht.“ Keno Verseck, Budapest