Unentschlossenheit in Bellavista

■ Im Heimatort des spanischen Premiers denken die Alten an schlechte Zeiten / Die Jungen rätseln, wen sie wählen sollen

Bellavista (taz) – Pepi steht, ihr jüngstes Kind im Arm, auf dem Bürgersteig und unterhält sich mit Ignacia, die auf Knien den Eingang ihres frischgetünchten Hauses wischt. Sie läßt sich nicht lange um ihre Meinung bitten. „Felipe? Über den denke ich nichts Gutes. Für die Alten mag er ja einiges getan haben. Aber die Jungen liegen auf der Straße.“ Die alte Ignacia richtet sich auf: „Aber Pepi, du weißt ganz genau, daß die meisten von uns nur wegen Felipe eine Rente bekommen, daß wir erst seit Felipe sozialversichert sind.“ Die jüngere Pepi stützt beide Arme in die Hüften und bekräftigt: „Ignacia, ich habe zwei arbeitslose Söhne, bin selber arbeitslos und mein Mann auch, eine Rente krieg' ich nicht, obwohl ich jahrelang gearbeitet habe. Wen ich wähle, weiß ich noch nicht, aber den jedenfalls nicht.“ Abgang Pepi. Ignacia steht mühsam auf und schüttelt den Kopf: „Wenn sie keine Rente kriegt, dann hat sie sich um irgendwas nicht gekümmert. Und Arbeitslosigkeit gibt es schließlich woanders auch, daran ist doch Felipe nicht schuld. Ich weiß genau, was ich am Sonntag wähle: PSOE, wie immer.“

Der Streit, der sich wie ein Wahlclip der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) anhört, fand am Montag in Bellavista statt, nur wenige Meter von dem einstöckigen Haus entfernt, in dem Felipe González, der heutige Regierungschef von Spanien, seine Kindheit verbrachte. Bellavista: zehn Minuten Busfahrt von Sevilla entfernt, ist ein Mittelding zwischen Schlafstadt und Dorf. Die Bewohner arbeiten in der Uralitfabrik an der Zufahrt des Ortes oder in der andalusischen Hauptstadt. Kleine, eher ärmliche weißgekalkte Häuser, davor parken neue Autos. Über den schmalen Straßen flattern Fähnchen: „Wähle PSOE“. Jugendliche rattern auf Motorrädern durch die Hauptstraße, den kleinen Spielplatz teilen sich Kinder und Dealer. Im „Seniorenheim“ sitzen Dutzende alter Männer und klappern mit ihren Dominosteinen. „Ich war ein Nachbar der Familie González. Der Vater war Kuhhändler, und der Felipe in seinen kurzen Hosen war das ganze Jahr lang faul, und nur im Sommer ackerte er mal drei Monate lang. Ein hochintelligentes Kerlchen“, erinnert sich der 71jährige José Fabian Torres, Sekretär des Seniorenheims. „Hier in Bellavista ist immer PSOE gewählt worden, weil die Rechten keine Ahnung haben und weil Felipe von hier ist.“

Die Entschlossenheit von José Fabian, Felipe wieder zu wählen, wird jedoch längst nicht von allen geteilt. „Hier geht's steil bergab“, klagt etwa Alfredo Romero in seinem vollgestopften, dunklen Schreibwarenlädchen. „Die Sozialisten haben den Großen gegeben und den Kleinen genommen. Mit der neuen Wirtschaftssteuer schnüren sie uns die Gurgel ab.“ Die Rechten würde er aber nie wählen. „Ich wähle wie immer ,Izquierda Unida‘ und hoffe auf eine Koalition mit der PSOE.“ Daß die Alternative zu den Sozialisten in Bellavista nicht rechts, sondern links gesucht wird, hat mit der Geschichte des Ortes zu tun: Während des Frankismus wurde eine Kolonie Kommunisten hierher in Verbannung geschickt, und nach dem Ende der Diktatur blieben viele von ihnen da.

Vor allem die Alten sind es, die sich an die Zeiten erinnern, in denen Bellavista noch „das letzte Kaff“ war. Sie wählen beharrlich die Sozialisten, die hier den Wohlstand hergebracht haben. Die Jüngeren hingegen sind auch kurz vor den Wahlen großenteils unentschlossen. „Ich weiß noch nicht, was ich wählen soll“, gesteht die 19jährige Mari ein, die ihr Baby im Kinderwagen die Dorfstraße entlangschiebt. „Die Rechten nicht, denn das ist eine Partei für die Reichen. Aber alle große Parteien versprechen viel und halten nachher nichts. Vielleicht wähle ich irgendeine andalusistische Partei. Da weiß ich wenigstens, was ich habe.“

„Ahora!“ – „Jetzt!“ – fordern im nahen Sevilla große Plakate mit dem Bild des schnauzbärtigen Kandidaten der rechten „Volkspartei“, José Maria Aznar. Doch in Bellavista ist seine Zeit noch nicht gekommen. Antje Bauer