Faszination des Bauchwippens

■ Bei Hamburgs erstem integrativen Sportfest gab es jede Menge Sport neu zu entdecken

gab es jede Menge Sport neu zu entdecken

Der Blick schweift herum. Und bleibt hängen. Sechs Tischtennisplatten stehen in der unteren Ecke. Ein Turnier. Fasziniert blickt man hin und her, hineingezwungen in den Rhythmus des kleinen Balles. Jetzt wird er von einem alten Mann aufgenommen, der ihn seinem neunjährigen Gegner zuspielt. Der Junge schlägt daneben, lacht auf. Wieder nimmt der Mann den Ball, drückt ihn mit seinem bis zum Ellbogen amputierten linken Arm gegen seinen rechten gesunden. Er schont seinen kleinen Partner merklich, spielt nicht mit voller Kraft. Die Behinderung ist voll in die Bewegungen eingebunden. Schließlich verliert der kleine Junge, wechselt vergnügt zur nächsten Platte.

Vergnügt – das war die Grundstimmung der meisten Teilnehmer und Zuschauer am Sonnabend beim ersten integrativen Sportfest „Sport ohne Grenzen“ in der Alsterdorfer Sporthalle. Krampf, Anspannung und Kampf fanden keinen Platz. Wie auch, stand doch nicht das Gegeneinander, sondern das Miteinander im Vordergrund der Veranstaltung.

Der Blick wandert weiter. In der nächsten Ecke wird Fußball gespielt, auf dem Flur kann man die verrücktesten Fahrradvariationen ausprobieren. Am faszinierendsten sind die Ausstellungen der Vereine, die zum Teil schon seit 1981 Integrationssport anbieten. Spielerisch wirkt Sport auf diesen Fotos. „Wir wollen kein Schubladendenken, wir wollen kein Spezialistentum,“ erklärt der Gesamtkoordinator der Veranstaltung, Christian Burmeister, einen Grundsatz dieser Gruppen. Das große und auch etwas angsteinflößende Wort „Integration“ wird hier Stück für Stück verwirklicht. „Man kann das nur schaffen, wenn man aufeinander zugeht,“ meint Burmeister, „theoretisieren nützt da nichts, und genau das verstehen viele nicht.“

So ganz verstanden scheinen die zuständigen Ämter das nicht zu haben: Die zur Deckung der Kosten von 35 000 Mark notwendigen Gelder mochten, wollten, konnten oder durften sie nicht mittragen – Worte über Integration sind schnell gesprochen, die Taten Hamburger Verwaltungspolitiker fehlten wieder einmal. Der Freude tat das aber sicherlich keinen Abbruch.

Dem Mitmach-Vormittag folgte der Nachmittag mit einer vielfältig genutzten Präsentationsfläche. Auffällig war die Leichtigkeit, mit der Rollstuhltänzer und Kunstradfahrer, Bauchtänzerinnen und Rhönradfahrer auftraten. Vergleicht man das Ganze mit den bekannten Turngalas, mit dem zu erwartenden Brimborium beim Deutschen Turnfest 1994 in Hamburg, wo Sport septisch rein präsentiert wird, so war dieser Nachmittag entspannend unprofessionell.

Mit Burmeisters energischem Spruch „Integration fängt bei der eigenen Nase an, verdammt nochmal“ im Ohr läuft man durch die Halle und irgendwann hat man dann tatsächlich ein Einrad unter den Beinen und versucht sich beim Minitischtennis. Wird dabei beinahe von den anrollenden Rhönrädern überfahren und amüsiert sich köstlich. Auch viele der Zuschauer,

1die wie eine ältere Dame sagt, „rein zufällig mal reingeschaut haben“, verlieren die anfängliche Scheu vor dem Neuen, dem Unbekannten. Man rückt näher an die Tanzfläche heran, unterhält sich. Nur als die Hamburger Bauchtanzgruppe mit ihren exotischen Kostümen lasziv mit den Bäuchen wippend zum Mitmachen auffordern, flieht die schon erwähnte Dame. „Ne“, das wolle sie dann doch nicht.

Daß solche Veranstaltungen Einstellungen verändern können, wäre zuviel verlangt. Verlangen können sie Anerkennung bei den zuständigen Institutionen. Dem Grußwort von Oberbürgermeister Voscherau („vielversprechender Ansatz“) sollten Taten folgen. Integrationssportgruppen nicht an den Rand des normalen Vereinslebens zu drängen, sondern als einmalige Chance wahrzunehmen. Sport ist nicht nur in Rekordlisten wiederzufinden, sondern auch auf dieser Spielwiese der Möglichkeiten. Charlotte Muth