Gleichberechtigung – unverbindlich

Verfassungskommission verabschiedet Frauenförderung im Grundgesetz  ■ Aus Bonn Julia Albrecht

Als Elisabeth Selbach 1949 zusammen mit drei Mitkämpferinnen im parlamentarischen Rat den Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes durchgesetzt hatte: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, war das so revolutionär wie radikal. Bis heute beantwortet dieser Satz präzise die Stellung der Geschlechter zueinander – zumindest de jure. De facto sieht das Geschlechterverhältnis anders aus, sind die Männer die Herren. Sinnfällig machte dies Jutta Limbach, SPD und Justizsenatorin von Berlin deutlich, als sie bei der entscheidenden Sitzung der Verfassungskommission am Donnerstagabend ihre Rede mit den Worten einleitete: „Meine Herren Vorgesetzte...“, anstatt sich wie beabsichtigt an die „Vorsitzenden“ der Kommission zu wenden.

Und weil die Wirklichkeit mit dem in der Verfassung verbrieften Recht nicht übereinstimmt, hat die Verfassungskommission – 64 Mitglieder aus Bundesrat und Bundestag – mit überwältigender Mehrheit bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung folgende Ergänzung des Artikels 3 Absatz 2 beschlossen: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Bis zu dieser Formulierung war viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen, wäre man fast an dem Widerstand von Union und FDP gescheitert und hatte x-mal die entscheidende Abstimmung mangels Mehrheit vertagt. Entsprechend dankbar wiesen fast alle Redner und Rednerinnen der Sitzung auf die jetzt errungene Formulierung hin – auch wenn es eben nur ein Kompromiß ist.

Für Waltraud Schoppe, Frauenministerin in Niedersachsen, geht der neue Artikel 3 nicht weit genug: „Unsere Forderungen sind recht bescheiden geworden“, sagt sie und erinnert noch einmal an die ursprünglichen Erwartungen vieler Frauen: Verbot der Diskriminierung, eine Sprache, die auch die Frauen anspricht, und das Recht auf einen Schwangerschaftsabruch. Ebenfalls nicht aufgenommen wurde die sogenannte Kompensationsklausel. Dieser von der SPD eingebrachte Vorschlag sollte gewährleisten, daß den bestehenden Ungleichheiten durch Fördermaßnahmen von Frauen entgegengewirkt wird: „Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig.“ So weitgehend sollten die Frauen denn doch nicht bedacht werden und wegen dieses Verzichts zeigten sich auch Friedrich-Adolf Jahn (CDU) und Hans- Joachim Otto (FDP) mit der neuen Regelung zufrieden.

Was sind aber nun die wirklichen Verbesserungen des Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz gegenüber der alten Kurzfassung („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“)? 1. Die neue Formulierung bestätigt ausdrücklich, daß die Frauen benachteiligt sind und es eine Kluft gibt zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit. 2. Dem Staat wird aufgegeben, die Frauen zu fördern. 3. Dem Staat wird aufgegeben, die Nachtteile zu beseitigen, nicht lediglich abzubauen. So zumindest versteht Hans-Jochen Vogel (SPD) den Entwurf.

Und können wir nun beruhigt aufatmen und einer tatsächlich gleichberechtigten Zukunft entgegenschauen? Mitnichten. Artikel 3 formuliert ein sogenanntes Staatsziel. Hierbei handelt es sich nicht um ein von Frauen im Falle ihrer Benachteiligung einklagbares Recht, sondern um eine Absichtserklärung des Staates. Vor allem durch Gesetze, aber auch durch andere Maßnahmen soll er das erklärte Ziel fördern, die Grundlagen schaffen, auf denen dann die Frauen „Positionen der Macht, des Prestiges und der Verantwortung übernehmen können“ (Limbach).

Und schließlich: die Verfassungskommission ist nicht der Verfassungsgeber. Sie ist ein beratendes Gremium, das zwar eine „bedeutsame Empfehlung“ (Vogel), aber eben nur eine Empfehlung dem Gesetzgeber überreicht. Erst jetzt fangen die Mühlen zu mahlen an, wird die Empfehlung an die zuständigen Gremien von Bundestag und Bundesrat übergeben. Wie überaus beschwerlich und langwierig der Weg zu einer Grundgesetzänderung ist, haben wir bei der Asylrechtsänderung (und da handelte es sich um einen konservativen, nicht um einen progressiven Vorstoß) gesehen.

Ein wenig grotesk wirkte als letzte Rednerin vor der Abstimmung die Justizministerin von Bayern, Frau Berghofer-Weichner (CSU), die mit ihrer „persönlichen Erklärung“ wissen ließ: „Nach wie vor bin ich der Meinung, daß die fünf Worte (,Männer und Frauen sind gleichberechtigt‘) reichen, die geplante Ergänzung ist überflüssig. Ich werde nur zustimmen, damit mir nicht fälschlich ein Handeln gegen die Frauen unterstellt werden kann.“ Wir haben Sie richtig verstanden, Frau Berghofer- Weichner.