Ich werd' schon mal 70, Harry!

Zum Ehrentag eine Weißweinschorle auf unseren Derrick, alias Horst Tappert  ■ Von Martin Sonneborn

Wenn Herr Randolf sich heute abend in die Münchner Mordkommission begibt, um den Verlust einer Tochter zu melden, weiß er natürlich nicht, was wir wissen: Oberinspektor Derrick, der ihm gegenübersitzt und der aussieht, als habe er morgens im Vorübergehen in die Pfanne gelangt und sich eine Handvoll Bratfett in die Haare gedrückt, feiert heute seinen siebzigsten Geburtstag.

Was würden wir dafür geben, diesen Vorzeige-Cop mit dem Phlegma eines gemütskranken Tiefseeschwamms heute einmal ganz anders zu sehen? Nicht wie immer, „erschöpft, innerlich leer, betrübt darüber, daß das Leben und die Menschen von (schlimmen) Dingen nicht frei sind“ (ZDF-Presse-Info).

Unwahrscheinlich aber, daß der Inspektor, der, laut ZDF, die „Schatten der Vergangenheit“ – Zweiter Weltkrieg und so – in Holland und Norwegen hat „lichter“ werden lassen und der das Bild vom „demokratischen Nachkriegsdeutschland mitgeprägt hat“, heute mal ohne Krawatte aufläuft. Undenkbar gar, daß er ausgelassen, heiter fast, zum Dienst erscheint; ein Easy-Rider-Poster aufhängt, die Füße auf den Tisch legt und ein paar Flaschen Flens leert; anschließend fröhlich-trunken durchs Revier torkelt, Freudenschüsse abgibt aus der Dienstpistole, Sekretärinnen lüstern auf den Hintern klopft.

Nein, so ist er nicht. Ein Gläschen Herva mit Mosel wird er sich gönnen heute, Fahr-schon-mal- vor-Harry-Klein ein Export Bier spendieren und dem schweigenden Dauerpraktikanten Berger wohlwollend zuzwinkern. Er wird seine gewaltigen Tränensäcke mit einer großen goldumrandeten Sonnenbrille tarnen und Assistent Klein mit dem Wagen vorausschicken. Dann wird er – genau wie in den bisherigen 222 Fällen – hinterherfahren, um Thomas Fritsch festzunageln, Peter Fricke in die Enge zu treiben oder gar den bauernschlauen Gerd Baltus zu stellen. Assistent Klein ist dabei nützlich wie ein Kompaß, der permanent nach Süden ausschlägt. Gezeichnet von einem kriminalistischen Spürsinn, der es ihm verwehren würde, auch nur die leichten Fälle aus Wolfgang Eckes Kriminalmagazin zu lösen, wird Harry zum Schluß fragen: „Ja – aber – woher weißt Du ...?“ Und ob der Ahnungslosigkeit seines Assistenten „erschöpft“, ja „innerlich leer“, wird „der im Ausland bekannteste Deutsche“ (ZDF) antworten: „Harry!“ – und nur der Hauch eines Vorwurfs wird mitschwingen – „Harry! Der größte Teil der Scherben liegt draußen!“

Tja, Harry, gehn wir!

Zum Geburtstag spendiert das ZDF den „Tod im See“, 22.50 Uhr