Frauen als Versuchskaninchen mißbraucht?

■ Eß-Brech-Süchtige sollen Antidepressiva schlucken / Uni-Forschungsprojekt für Pharmafirma / Kritikerinnen: Selbstmordgefahr

sollen Antidepressiva schlucken / Uni-Forschungsprojekt für Pharmafirma / Kritikerinnen: Selbstmordgefahr

In einem sind sich alle einig: für eßsüchtige und eß-brech-süchtige Frauen ist das Therapieangebot im Norddeutschen Raum äußerst dürftig. Es fehlt gänzlich an einer Infrastruktur von Hilfsangeboten, wie es sie für Drogen- und Alkoholabhängige gibt. Einzig die Brücke in Wandsbek hat ein paar ambulante Therapieplätze zu vergeben.

Das Psychologische Institut II der Hamburger Uni bietet nun 100 Hamburgerinnen, die an dieser Krankheit leiden, eine kostenlose Behandlung an. Unterstützt mit 170 000 Mark eines Pharmakonzerns sollen an ihnen vier Monate lang drei verschiedene Methoden getestet werden. „Wir haben die berechtigte Vermutung, daß die Kombination von Verhaltenstherapie und Medikamenten am wirksamsten ist“, sagt Professor Bernd Dahme, der das Forschungsprojekt leitet. Um auf Nummer sicher zu gehen, soll je eine Kontrollgruppe von 30 Frauen eine Behandlung nur mit Therapie und nur mit dem Antidepressivum Fluoxetin erhalten.

Der AStA-FrauenLesbenRat der Hamburger Uni hat nun in einem Offenen Brief dieses Forschungsvorhaben scharf kritisiert. Es sei ausgesprochen zynisch und verantwortungslos, Frauen den fatalen Nebenwirkungen eines Antidepressivums auszusetzen, nur um empirisch belegen zu können, daß dieses allein bei Bulimie nicht hilft. „Bulimiekranke sind eh eine Risiko- Gruppe, spielen oft mit Selbstmordgedanken“, sagt Helga Rafalsky, Psychologie-Studentin und ehemals Betroffene. Selbst der Hersteller des Medikaments weise im Beipackzettel darauf hin, daß der Patient zu seiner eigenen Sicherheit ausreichend beobachtet werden müsse. Denn bevor die dämpfende Wirkung des Mittels eintrifft, löse Fluoxetin einen zwei bis drei Wochen andauernden Depressionsschub aus. Auch nach Absetzen des Medikaments, so Rafalsky, seien die Frauen mit den emotionalen Konsequenzen alleingelassen. Dazu kämen aber auch noch andere Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Durchfall, Blähungen, die den Magen-Darm-Trakt und somit die Archillesferse der Betroffenen träfen. Insofern seien Antidepressiva bei Bulimie „kontraindiziert“.

„Ich halte es für absolut dramatisch, wie hier bulimische Frauen für die Forschung benutzt werden“, sagt auch Barbara Sturm von der Beratungsstelle Waage e.V. Heilung mit regelmäßiger Medikamentenzugabe könne es nicht geben. Die betroffenen Frauen müßten ihre Gefühle zulassen und nicht dämpfen.

Der Protest zeigt bereits Folgen. „Wir haben jetzt Schwierigkeiten, die Plätze zu besetzen“, klagt Professor Dahme, der die Kritik der AStA-Frauen als „grobe Unterstellung“ zurückweist. Zwar sei es richtig, daß die Frauen per Los auf

1die Gruppen verteilt werden, die Behandlung also nicht frei wählen könnten. Dahme: „Wenn aber eine Patientin keine Medikamente will, dann respektieren wir das“. Auch sei eine Selbstmordgefährung „schlicht Unsinn“. Fluoxetin sei ein nebenwirkungsarmes Medikament, das die Zahl der Eß-Attacken mindern und auch eine Besserung im

1Sozialverhalten der Eßgestörten hervorrufen soll. Die Patientinnen würden wöchentlich untersucht. Sollten doch Nebenwirkungen auftreten, müsse der Arzt entscheiden, ob weitergemacht werden darf oder nicht. Selbstverständlich werde man dann gezielt therapeutische Hilfe vermitteln.

Für Helga Rafalsky macht dies

1streng wissenschaftlich keinen Sinn: „Wenn sie anschließend doch Therapie anbieten, können sie mit den Untersuchungsergebnissen gar nichts anfangen“. Die Ergebnisse würden verfälscht, die Langzeitwirkung der Behandlung könne nicht mehr getestet werden. Ihr Vorschlag: die dritte Gruppe ganz fallen zu lassen. Kaija Kutter