Nachschlag

■ Adam Zagajewski im Polnischen Kulturzentrum

Auch Polen hatte seine 68er, eine Generation von Dichtern, die einen neuen Ton in die Literatur brachten. Adam Zagajewski, einer ihrer profiliertesten Vertreter, war Mittwoch abend im Polnischen Kulturzentrum zu Gast. Was da geboten wurde, war weniger der verklärende Blick in die alten heroischen Zeiten als vielmehr die Vorstellung einer Poetik, die auch heute noch Gültigkeit besitzt. Sein Kollege Stanislaw Baranczak hatte es einmal so beschrieben: „Eine Sprache zu sprechen/... in der das Wort „Wahrheit“/ ein Zeitungstitel ist, in der die Wörter Freiheit und Demokratie/ in den Dienstbereich eines Polizeigenerals fallen; Wie kam es, daß wir da einmal mitspielten?/ Daß wir diese Wortspiele mitmachten, diese Kalauer, Sinnverdrehungen/ diese ganze linguistische Poesie?“

Die polnischen Dichter gingen einen anderen Weg – jenseits von Affirmation, schlichter Anklage oder kryptischem Eskapismus. Zagajeskwi: „Rein ästhetische Haltung in einem Polizeistaat resultiert aus Feigheit, aus dem Wunsch, Schwierigkeiten zu vermeiden.“ Gerade mit dem Blick auf die Spielchen des Prenzlauer Berges ist der Kontrast zur osteuropäischen Avantgarde frappierend. Wirklichkeitsbeobachtung, wunderschöne Metaphern, Wortspiele und entlarvende Zitate: das gab eine Mischung, die sowohl politisch wie auch ästhetisch subversiv war: „Wir kehrten der Grausamkeit und der Langeweile den Rücken.“ Bei allen nötigen Abgrenzungen kam der jungen Literatur in Polen die dortige Tradition des Aufbegehrens und Weggehens zugute: Gombrowicz, Milosz – keinem wäre es eingefallen, diese Exilanten aus dem zu führenden Diskurs auszuschließen. Anders auch als in der DDR wurde die moralisierende Lüge nie als unverzichtbares Stilelement verehrt, wurde nie mit dem Verweis auf Utopien, die alltägliche Repression verkleistert. In seinem Gedicht „Kierkegaard über Hegel“ schreibt Adam Zagajewski: „Jene herrlichen Staaten,/ die man uns versprach, sind von Spinnweben verdeckt, vorerst müssen wir mit der/ engen Haftzelle vorliebnehmen, dem Lied eines Häftlings/ der guten Laune eines Zöllners, der Faust eines Polizisten.“ Und wenn die plötzlich nicht mehr vorhanden ist, was dann?

Kultiviert man dann eine morbide Sehnsucht nach der Enge, nach den guten alten schlechten Zeiten, als alles noch so leicht zu durchschauen war? „Fremde Fehler erkannten wir gleich“, schreibt Zagajewski an seinen Freund Adam Michnik. Zerknirschung des einstigen Bürgerrechtlers? Zu deutsch gefragt.

Was hier sichtbar wurde, ist eine große Gelassenheit, die freilich auch fuchsteufelswild werden kann angesichts der totalitären Schweinehunde, die die Geschichte bevölkern. Da gibt es keine Kompromisse, was allerdings das souveräne Augenzwinkern gegenüber absurden Momenten der eigenen Existenz keineswegs ausschließt. Das ist ebenso integer wie sympathisch. Und nicht zuletzt Literatur, die sich sehen lassen kann. Sie hat das Ende des Kommunismus spielend überstanden und ist nicht nur in dessen früherem Machtbereich verständlich. Mit seiner Frau lebt Adam Zagajewski jetzt in Frankreich und schreibt weiter auf polnisch seine Essays und Gedichte. Wir warten auf das nächste Buch. Marko Martin