Mordmotiv „Rechtsradikalismus“

Prozeß gegen sieben Angeklagte wegen Tötung des Kosovo-Albaners Sadri Berisha / Staatsanwalt klagt Mord wegen Ausländerhaß an / Nazis, Hooligans oder „ganz normale Jugendliche“?  ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Rechtsanwalt Dieter König ist, sagen seine Kollegen respektvoll, „eine Institution in Stuttgart“. Um so schwerer wiegt das Plädoyer des renommierten Strafverteidigers Anfang der Woche vor der 2. Großen Jugendstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts. Doch davon später. Die sieben Angeklagten, die in der Nacht zum 8. Juli 1992 ein Arbeiterwohnheim in Ostfildern- Kemnat stürmten, den 55jährigen Kosovo-Albaner Sadri Berisha mit wütender, gnadenloser Brutalität erschlugen und dessen 46jährigen Landsmann Sahit Elizay schwer verletzten, sind nur schwer zu benennen. Vom Prozeß gegen Neonazis war da die Rede, vom Skinhead-Prozeß. Bei näherem Hinsehen greift nichts davon so recht. Der Hauptangeklagte, Thomas Wede (25), nennt sich selbst einen Hooligan. Aber auch das, wissen Ortskundige, stimmt nicht. Den Ostfilderner Fußballfans sei er zu chaotisch, zu sehr Maulheld gewesen. „Selbst die“, sagt der Esslinger Sozialpädagogik-Professor Kurt Senne in seinem Gutachten, „haben ihn nicht haben wollen.“

Was also dann? Senne nennt ein Tatmotiv, das in seiner Alltäglichkeit um so erschreckender ist: „Das war der ganz normale, dumpfe Rechtsradikalismus, wie Sie ihn jeden Abend zwischen 10 und 12 Uhr in jeder Kneipe hören.“ Und: „So denken doch 30 Prozent der Jugendlichen.“ Senne muß es wissen, er arbeitet seit bald dreißig Jahren mit Fußballfans, und Ostfildern ist sein Forschungsgebiet.

Die Sammelbegriffe schleichen sich dennoch immer wieder ein, obwohl einige der sieben Männer sich bis zur Tatnacht nicht einmal gekannt hatten. Der Psychiatrische Gutachter Dubois: „Niemand kannte alle.“ Jetzt sind sie durch Tat und Anklage verbunden: Mord und Mordversuch, Körperverletzung mit Todesfolge und Beihilfe dazu. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist die erste in der Bundesrepublik, die die tödliche, gemeinschaftliche Gewalt gegen Minderheiten als Mord wertete. Als Tatmotiv nennt sie kurz und knapp: „Ausländerhaß“.

Staatsanwalt Karl-Heinz Engstler kritisiert die Medien dafür, daß sie das Verfahren zu einem „politischen Prozeß hochstilisiert“ hätten. Die Feststellung, daß der Prozeß trotz der unübersehbar sowohl menschlichen wie formalen Desorganisiertheit der Angeklagten und entgegen der staatsanwaltlichen Intervention nicht im politikfreien Raum stattfindet, bleibt den Gutachtern überlassen. Diese – eben doch unübersehbare – Tatsache gerät außerdem manchem der sieben Verteidiger zur hilflosen Gratwanderung zwischen angemessener Verteidigung und Schuldzuweisung an Politik und Gesellschaft. Sie sahen sich darin unversehens – wenigstens punktuell – einig mit den Vetretern der beiden Nebenkläger, des damals schwerverletzten Sahit Elizay und des Bruders des ermordeten Sadri Berisha.

Rechtsanwalt Rezzo Schlauch stellt fest: „Die Tat hat die gleiche Qualität wie die von Mölln.“ Es mache auch „keinen Unterschied, ob solche feigen, brutalen Gewalttaten von organisierten, politischen Gruppen oder von Spontan-Gruppen begangen werden“. Er klagt diejenigen an, die den Tätern „das Gefühl gaben, daß das, was sie machten, möglicherweise so unrecht gar nicht sei“.

Im Gerichtssaal entsteht eine komplizierte Gemengelage. Die Angeklagten sind also, professoral bescheinigt, keine Neonazis. Lokalpolitiker und -zeitungen greifen diese Erkenntnis begierig auf. Nur bekommt sie unversehens eine ungewollte Schieflage und klingt von nun an wie die ständige Wiederholung einer Entwarnung.

Und damit kommen wir wieder zu dem verdienten Rechtsanwalt König, den gerade die beliebige Willkür der Tat, ihre „Grausamkeit und Sinnlosigkeit“, besonders entsetzt. Und dies nach dem Konsum von Hitler-Reden, deren „Hohlheit und Verlogenheit“ heute „nur noch ein makabres, bitteres Lachen“ auslösen könne. König: „Da packt mich das Grausen, und ich fühle mich wie auf einem Karussell des Wahnsinns.“ König hat noch den leichtesten Part. Er vertritt Michael G., der sich an den Hauptangeklagten Thomas Wede als Saufkumpanen angeschlossen hatte, die Nazi-Embleme und die Hitler- Reden „einen Scheiß“ fand, aber trotzdem in der Tatnacht mit den anderen mitlief.

Schwieriger wird das bei den sechs anderen Angeklagten. Folgt man den Plädoyers ihrer Verteidiger, die ihre Mandanten nicht schonen, sind eigentlich alle mehr oder weniger versehentlich in die Tat „hineingeschliddert“, mitgelaufen, wollten nicht morden, sondern „nur Polacken klatschen“, „Randale machen“. Ein Zeuge aus der Stammkneipe sagt: „Sie haben eigentlich das gemacht, was alle denken.“ Und: „Gegen Scheinasylanten ist doch jeder. Das ist doch ganz normal.“

Kein politischer Prozeß? Und schon wieder ist eine Schieflage, auch unter der bedachtsamen Verhandlungsführung des Vorsitzenden Richters Hans-Alfred Blumenstein, fast unvermeidlich. Denn das, was da so ganz „normal“ als Volkes Stimme, auf die auch ganz andere gehört haben, gewalttätig umgesetzt wurde, traf keine „Scheinasylanten“ und auch keine „Polacken“. Die gibt es in ganz Kemnat nicht. Es traf Sadri Berisha und Sahit Elizay. Beide Männer arbeiteten seit über zwanzig Jahren bei einer Baufirma, schickten ihr Geld zur Familie in den Kosovo und haben, so Rechtsanwalt König bitter, „wahrscheinlich in einem Jahr mehr Steuern gezahlt als alle Angeklagten zusammen in einem Jahr“.

Der Juniorchef der Baufirma, wird erzählt, habe am Krankenbett von Sahit Elizay geweint. Dazu hat er auch allen Grund. Elizay hat, wie sein toter Freund, als „Ungelernter“ bis zum Umfallen geschuftet „wie ein Vorarbeiter“. Es hat also, und daher die Schieflage, die Falschen getroffen, brave Steuerzahler und zuverlässige, billige Arbeitskräfte. Hätte es auch die „Richtigen“ treffen können?

Gutachter Kurt Senne versucht eine akribische Analyse der Tat, zergliedert sechs Stunden in sechzehn Phasen. Da wurde, getrennt und zusammen, getrunken, man ging auseinander, traf sich wieder. Die Gruppe, die Senne eine „Horde“ nennt, komplettierte sich erst nach Kneipenschluß, heizte sich gegenseitig auf bis zur tödlichen Brisanz. Zwei holten noch einen Baseballschläger und eine Schreckschußpistole. Dann zogen sie los.

Eigentlich wollten sie zu einem anderen Ausländerwohnheim, fanden aber am Tatort die Tür offen. Spätestens nach dem Sturm auf den ersten Stock seien sie in einen „rauschhaften Zustand“ verfallen und hätten, nicht mehr steuerbar, „in blinder Wut“ zugeschlagen.

Daß die Täter, trotz aller Desorganisiertheit, keine unbeschriebenen Blätter sind, weiß ein Ermittlungsbeamter. Er habe, wie andere Kollegen auch, „gleich an die Wedes“ gedacht. Die vier Brüder sind mit Gewalt und Brutalität aufgewachsen und auch für sie bekannt. Sie hatten, so die Gutachter, „eine verheerende Kindheit“. Der Vater, immer vor der Polizei auf der Flucht, erhängte sich im Gefängnis. Der älteste Bruder, Martin Wede, wurde zu acht Jahren Haft verurteilt, weil er im Sommer 1991 einen Deutschen erstach, den er für einen Türken hielt. Der mitangeklagte Bruder, Roland Wede, beteiligte sich ebenfalls oft genug an Angriffen und Schlägereien mit Ausländern – aktenkundig mindestens seit 1987.

Damals tyrannisierten er und seine Freunde auf einem Grillplatz eine Gruppe LandwirtschaftsschülerInnen. Ihre Methoden waren Psychoterror und Gewalt, die die Jugendlichen und ihre Betreuer, obwohl zahlenmäßig weit überlegen, hilflos machten. Vermeintliche Ausländer wurden selektiert und zusammengeschlagen. Dem folgt eine Serie von Gewalttaten der Brüder.

Auch Frank Neumann gilt als Neonazi. In seiner Heimat in der DDR hatte er den Spitznamen „Schönhuber“. Er las, als einziger, einschlägige Literatur. Seine Mittäter sagen, daß er sie mit seiner Agitation „angenervt“ habe. Ihm gehörten die Hitler-Schallplatte und die Musikkassette der Band „Kahlkopf“ („Der Metzger“), die vor der Tat gespielt wurden.

Die Angeklagten erinnern sich an viele Einzelheiten der Tatnacht. Nur wer die tödlichen Schläge ausgeteilt hat, das wissen sie nicht mehr. Es sei „alles so schnell“ gegangen. Die Staatsanwaltschaft sieht Thomas Wede als den Mörder von Sadri Berisha, der nach nur zwei krachenden Schlägen gegen den Kopf starb.

Der zweite Hauptangeklagte, Michael Drigalla, habe Sahit Elizay geschlagen, ihm eine Schädelfraktur und zahlreiche stark blutende Wunden und Prellungen zugefügt. Wede wiederum schiebt die für die Mordanklage entscheidenden, tödlichen Schläge auf Drigalla und Neumann, der seinerseits nichts gesehen haben will. Drigalla will es auch nicht gewesen sein und beschuldigt Thomas Wede. Er selbst habe nur den taumelnden Elizay aufzuhalten versucht, ihn geschubst, ein „bißchen“ nach ihm geschlagen, ihn aber nicht richtig getroffen, sondern „nur Löcher in die Luft“ gehauen.

Sahit Elizay, der heute noch an Schmerzen leidet, arbeitsunfähig ist und Angst hat, erinnert sich im Zeugenstand an drei vermummte Männer. Er ist auf das Bett geflüchtet, hat sich in die hinterste Ecke unter der Dachschräge verkrochen und wimmernd zusammengerollt. Er hält sich an der Hoffnung fest, daß sein toter Freund Berisha nicht mehr viel gespürt hat und im Schlaf erschlagen wurde. Das ist nicht mehr zu rekonstruieren. Die Tat hinterließ nur winzige Blutspuren an der Kleidung Drigallas und an einem der Baseballschläger, Marke „black beauty“, die Elizay zugeordnet werden.

Eins sei jedenfalls sicher, stellt Staatsanwalt Engstler fest: „Sadri Berisha ist tot.“ Er beantragt gegen Thomas Wede wegen heimtückischen Mordes an arg- und wehrlosen Opfern aus niederen Beweggründen „auf tiefster Stufe, die verachtenswert sind“, eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Es sei „keine Exzeßtat“ gewesen. „Wer sich wen vornimmt“, sei ihnen vorher klar gewesen. Sie hätten gleichzeitig zugeschlagen und deshalb vorher keine Absprache benötigt.

Für Drigalla fordert er neun Jahre Haft, für die anderen Angeklagten Strafen zwischen acht Jahren und acht Monaten. Auch vom Schaden für das Ansehen der Bundesrepublik ist bei ihm, ebenso wie bei der Verteidigung, die Rede und davon, daß die Angeklagten „keinerlei Reue“ gezeigt hätten. Die nehmen ihr Schlußwort wahr und formulieren, ungeübt und hölzern, daß es ihnen leid tue, sie das nicht gewollt hätten. Einige hofften darauf, daß ihnen verziehen werde.

Das Urteil im Prozeß wird für den heutigen Donnerstag erwartet.