"Je unklarer die Lage, desto größer die Reserve"

■ Streit auf Wohnschiff in Neumühlen: Rumäne sprang in die Elbe / Riesenaufgebot an Polizei / Feuerwehr ohne Taucherausrüstung

: Rumäne sprang in die Elbe / Riesenaufgebot an Polizei / Feuerwehr ohne Taucherausrüstung

„Bei einer Strömung von sechs Metern pro Sekunde — wer springt da schon in die Elbe?“ Für Feuerwehrsprecher Wolfgang Lindner scheint der Fall klar: Selbst wenn die Feuerwehr über Taucherausrüstungen verfügt hätte, hätten seine Leute am Montagabend das Drama im Flüchtlings-Sammellager Neumühlen wohl nicht verhindern können. Dort war ein 24jähriger Rumäne ins Elbwasser gesprungen.

Um 21.40 Uhr war es auf dem zweiten Oberdeck der „Floatel Stockholm“ zum Streit unter einigen Rumänen gekommen. Dabei hatte der 24jährige Rumäne einen kleinen Jungen gepackt und mit dem Kopf gegen eine Stahlplatte geschlagen. Die aufgebrachte Sippe des Jungen verfolgte ihren Landsmann, der sich mit einem Sprung durchs Fenster zu retten versuchte und sich aus Angst vor seinen Verfolgern ins Elbwasser stürzte.

Polizei und Feuerwehr rasten an den Anleger Neumühlen. Der Rumäne war inzwischen durch die starke Strömung unter der Ponton- Brücke hindurch zur „Floatel Kalmar“ getrieben worden, wo er sich am Heck festklammerte. Versuche, den Mann aus der Elbe zu fischen, mißlangen. Ein Feuerwehrmann: „Als wir mit dem Schlauchboot in seine Nähe kamen, tauchte er aus Angst unter das Schiff.“

Während die Feuerwehr das verletzte Kind ins Krankenhaus transportierte — es hatte eine Platzwunde —, dauerte die Suche von Feuerwehr und Wasserschutzpolizei nach dem Vermißten an. Obwohl sich die Lage vor den Wohnschiffen zu diesem Zeitpunkt bereits wieder beruhigt hatte, entsandte die Polizeiführung ein Großaufgebot nach Neumühlen. Sämtliche ZivilfahnderInnen, die in jener Nacht in der westlichen inneren City ihren Dienst hatten, tummelten sich am Anleger. Die gesamte Landesreserve, der Einsatzzug Mitte sowie BereitschaftspolizistInnen wurden vor den Wohnschiffen zusammengezogen. Polizeisprecher Dankmar Lund rechtfertigte das Großaufgebot: „Es herrschte eine aggressive Stimmung. Wenn der rausgekommen wäre, hätten ihn seine Landsleute gelyncht.“ Deshalb habe sich die Polizei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Lund: „Es gibt einen polizeitaktischen Grundsatz: Je unklarer die Lage, desto größer die Reservekräfte.“

Auch die Polizei-Rettungstaucher, die erst nach zwei Stunden am Einsatzort erschienen, fanden in der Elbkloake keine Spur von dem 24jährigen. Obwohl einige Feuerwehrmänner über eine Taucherausbildung verfügen, hatten sie nicht helfen können. Ein Feuerwehrmann: „Viele von uns können tauchen, doch für Taucherausrüstun-

1gen fehlt der Behörde das Geld.“ Gegen 24 Uhr wurde die Suche nach dem Rumänen eingestellt.

Sicher ist, daß der Mann nicht in einem der Unterwasser-Hohlräume Schutz gefunden hat. Ob er sich jedoch elbabwärts an Land retten konnte oder in der starken Ebbe-

1strömung ertrank, ist unklar. Und ob dem Mann vielleicht doch durch Feuerwehrtaucher hätte geholfen werden können? Wolfgang Lindner bleibt skeptisch: „Ein Tauchereinsatz in der Elbe gilt bei uns als Wahnsinn.“ Die GAL hat unterdessen die Schließung des „schwim-

1menden Massenlagers“ gefordert, in dem Tausende Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammengepfercht sind, weil derartige Konflikte programmiert seien. Die GAL: „Eine Politik, die dies in Kauf nimmt, macht sich mitschuldig an den Opfern.“ Kai von Appen