Stolpert Innensenator über VS-Panne?

In Berlin geht ein Untersuchungsausschuß der Frage nach, warum ein Beteiligter am Mykonos-Attentat von den Sicherheitsbehörden mit Samthandschuhen angefaßt wurde  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Die Ankündigung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Wenn es den Feinden Gottes nicht gelingt, den moslemischen Volkskörper zu vergiften“, so erklärte im Juli 1990 der Generalsekretär der Hisbollah, Hussein Mussawi, „werden solche Kommandounternehmen weitergehen. Wir müssen überall angreifen, ob in Israel, in den besetzten Gebieten, in den USA oder in Europa.“ 27 Monate später wurde die Drohung in die Tat umgesetzt, im Griechenlokal „Mykonos“ im Berliner Bezirk Wilmersdorf wurden vier Politiker der Demokratischen Kurdischen Partei im Iran, darunter ihr Generalsekretär Serefkendi, von einem Hinrichtungskommando erschossen. Wie Berlins Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) jetzt vor dem Verfassungsausschuß des Abgeordnetenhauses beichtete, genoß der Drahtzieher der Killertruppe, der Hisbollah-Aktivist Kazem Darabi, die besondere Aufmerksamkeit der Berliner Sicherheitsbehörden, ohne daß diese sich veranlaßt sahen, im Vorfeld des Attentates gegen ihn vorzugehen. Ob dies aus purer Schlampigkeit geschah oder die fürsorgliche Duldung Darabis übergeordneten Interessen folgte, soll nun in einem Untersuchungsausschuß geklärt werden.

Das Gremium wird der Frage nachgehen müssen, warum Darabi seit 1984 als Gemüsehändler in der Stadt leben konnte, obgleich er als Kopf der Hisbollah in Deutschland galt und nach Einschätzung alliierter Dienste „bestinformiert und höchst gefährlich“ war. Trotz seiner amtsbekannten Extremistenvita erhielt er von der Berliner Ausländerbehörde problemlos eine Aufenthaltserlaubnis. Als im Winter 1992 Hisbollah-Chef Mussawi bei einem israelischen Angriff ums Leben kam, wurden auch die deutschen Sicherheitsbehörden auf die Gefahr möglicher Hisbollah-Anschläge aufmerksam gemacht. Der Berliner Staatsschutz lud daraufhin Darabi im Februar 1992 zu einem „präventiven Kontaktgespräch“. Wie Heckelmann nunmehr erklärt, sei der Hisbollah-Mann in diesem „persönlichen Gespräch zu politischer Zurückhaltung ermahnt“ worden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schien auf die Wirkung dieser Ermahnung nicht allzuviel zu vertrauen, denn im gleichen Monat sandte es eine dringende Aufforderung an das Berliner Landesamt, gegen Darabi eine sogenannte G-10-Maßnahme (Telefon- und Postüberwachung) einzuleiten. Doch die Berliner Kollegen verbrachten acht Monate mit der Suche nach einem passenden Dolmetscher. Als dieser gefunden war, waren die vier Politiker erschossen und Darabi abgetaucht. Darabi wurde Anfang Oktober 1992 verhaftet, der Prozeß gegen ihn soll demnächst eröffnet werden.

Innensenator Heckelmann wies nach Bekanntwerden dieser Sachverhalte öffentlich eine eigene Verstrickung in die Überwachungspleite von sich. Er habe, so erklärte er gestern, erst nach dem Attentat den Namen Darabi zum ersten Mal gehört. Am 28. September soll die G-10-Maßnahme seinen Schreibtisch zur Genehmigung passiert haben. Anlaß zur amtsinternen Kritik sieht er nicht. Die Innenverwaltung, so Heckelmann, „war bestens organisiert“, und auch der Verfassungsschutz „war personell in der Lage, allen Erfordernissen gerecht zu werden“. Seinem Resümee, „das Amt funktionierte prima“, will sich zumindest die zuständige Abgeordnete von Bündnis 90/ Grüne, Renate Künast, nicht anschließen. Sie wundert sich über die „dubiosen Arbeitsformen“ des Staatsschutzes genauso wie über die „Glacehandschuhe“, mit denen der aufenthaltsrechtliche Status Darabis geregelt wurde.

Für sie steht bereits fest, daß Heckelmann seine Dienst- und Fachaufsicht verletzt hat. Das Nichtwissen, das dieser zu seiner Entlastung anführt, ist ihr Beleg dafür, daß er als Innensenator „fehl am Platz“ ist, denn mit Unwissenheit könne er sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Auch für die SPD ist die Frage nach der Verantwortung des Innensenators noch nicht geklärt. Obgleich sie mit der CDU gemeinsam die Regierung stellen, besteht bei den Sozialdemokraten nur wenig Neigung, Heckelmann aus Gründen der Koalitionsraison zu stützen. Schon seit Monaten führen sie Klage darüber, daß der CDU- Mann eines der Kernvorhaben der großen Koalition, die Verwaltungsreform, nicht auf den Weg bringt. Die Sozis verübeln ihm zudem, daß er die Spitzenpositionen der Polizei mit CDU-Parteigängern besetzt. Deswegen soll sich Heckelmann demnächst genauso vor einem Untersuchungsausschuß verantworten, wie für die Vorkommnisse bei der Berliner Freiwilligen Polizeireserve, die jüngst wegen krimineller Umtriebe in Verruf geraten war. Das „Mykonos-Attentat“ ist folglich die dritte Untersuchung, der sich Heckelmann stellen muß.