Die seltsame Wandlung des Henning V.

■ Bürgermeisters Liebe zum Rasierspiegel oder: Warum Voscherau trotz SPD-Chaos und Mehrheitsverlust so fröhlich ist

oder: Warum Voscherau trotz SPD-Chaos und Mehrheitsverlust so fröhlich ist

Merkwürdig. Eigentlich müßte der Mann mit dem allzu korrekten Wahlkampf-Haarschnitt doch völlig am Boden zerstört sein. Die eigene Mehrheit — der „Sechser im Lotto“ — droht flöten zu gehen. Die eigene Partei kurz vor den Neuwahlen mitten im Stimmungstief. Die eigene Leistung tendenziell verkannt. Von den Medien. Zumindest denen in Hamburg. Und, schlimmer noch, von den eigenen Genossen. Zumindest denen in Bonn. Oder hat irgendjemand schon mal deutlich vernehmbar „Voscherau“ gerufen, wenn es um die Verteilung höchster SPD-Ämter geht? Hätte Hamburgs Bürgermeister nicht allen Grund zu Selbstzweifeln?

Keine Spur davon! Wo immer Henning Voscherau nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts auftritt, wirkt der sonst eher bürokratisch-korrekt agierende Notar wie ausgewechselt. Ob er in der ZDF-Talkshow live trotzig versucht, den Sprüchen des Tote-Hosen-Frontmans Campino zu kontern oder beim Gespräch mit Journalisten im akurat rechtwinklig angeordneten Bürgermeister-Amtszimmer schon mal die Füße hochlegt — der Senatschef gibt sich zuversichtlich, locker, gelassen. Und selbstzufrieden.

„Ich bin mit mir und meiner Arbeit im Reinen. Morgens, beim Blick in den Rasierspiegel kann ich mir sagen: Du machst Deine Sache gut, tust, was Du kannst.“ Die ungelösten Probleme der Stadt, die wachsende soziale Not, den Wohnungsmangel, die Politikverdrossenheit, das Erstarken der Rechten, all dies sieht Voscherau als „von außen verursacht“, von der Bundesregierung und den Zeitläuften. Das Aufblühen der Stadt dagegen würdigt er als eigene Leistung. „Fünf Jahre Voscherau, das bedeutet in Hamburg Fortschritt auf allen Ebenen.“

Alles Show? Nö, eher ein Stück Realitätsferne, langersehnte Ferien vom ich. Der Wahlkampf als erholsamer Urlaub nach eineinhalb Jahren „Selbstzucht“ in der Einsamkeit des Chefzimmers. Endlich wieder geliebt, zumindest von den Hamburger Genossen. Denn das hat er am eigenen Leibe gespürt: „Ein Spitzenkandidat ist immer vor der Wahl am stärksten. Das ist die Kür. Danach kommt die — oft harte — Pflicht.“

Und so freut sich Voscherau taktischen wie ehrlichen Herzens richtig auf den Wahlkampf. Sein kühler Kopf weiß natürlich, daß eine erneute absolute Mehrheit „eine Sechs mit Zusatzzahl“ wäre. Trotzdem ist sie sein eigentliches Ziel. Wieder ein Hauch von Realitätsferne? Die FDP draußen, Reps und DVU mit zusammen sieben Prozent ebenfalls unter der 5-Prozent- Hürde — dann könnten 45 Prozent schon reichen. 48 sind zu verteidigen. Muß man sich da schon jetzt mit möglichen Koalitionspartnern herumschlagen?

Widerwillig, aber immerhin: Alle drei Rathausparteien hält er diesmal für koalitionsfähig und betont, damit auch jeder diese, seine Botschaft versteht: „Das habe ich 1991 nicht gesagt.“ Übersetzt: Anders als noch 1991 verleiht Voscherau den Hamburger Grünen das Prädikat „koalitionsfähig“.

Und noch etwas hört sich anders an als vor zwei Jahren: „Die kalten Immobilienhaie der FDP sind nicht koalitionsfähig." Nochmal übersetzt: Die Freidemokraten müssen sich inhaltlich wie personell erneuern, um überhaupt eine Chance zu haben, den Senatsdiwan mit der SPD zu teilen. Und: Mit Robert Vogel will sich Voscherau nicht noch einmal an einen Tisch setzen. Dann schon eher mit dem „ZK der CDU“.

Der Verdruß über den eigenwilligen FDP-Parteichef wird höchstens noch übertroffen vom Frust über seine Bundes-Genossen. Wahlkampf-Optimismus hin, neue Fröhlichkeit her, die konsequente Nichtbeachtung des Hamburger Erfolgsbürgermeisters bei der Vergabe von Bonner Spitzenämtern schmerzt ihn. „Schmidt-Neffe“ Voscherau hat einfach keine Club- Card für den Verein der Brandt-Enkel oder „das Milieu der 68er“, wie der Senatschef etwas verächtlich die Lafontaine-Schröder-Scharping- Gang umschreibt. „Man könnte es sogar eine Seilschaft nennen. Da gehöre ich nicht dazu.“ Selbstzweifel? I wo! Nach Schadenfreude klingt das ein wenig. Und nach inniger Freundschaft mit dem Rasierspiegel. Florian Marten / Uli Exner