Real-existierende Mütter stellen sich vor

Wohnungsnot, Arbeits- und Betreuungssituation, Straßenverkehr machen Müttern in Hamburg das Leben schwer /  ■ Sonntag ist Mütterkongreß

Muttersein bringt ganz viel Spaß und Freude. Auch beim hundertsten Mal geht die Liebeserklärung von der allerschönsten und allerbesten Mutter auf der Welt runter wie Sahne und Honig. Die erste Zeichnung, auf der mit krakeligen Buchstaben „FÜR MAMA“ steht, ist ein tolles Geschenk und der erste gemeinsame Ausflug auf Fahrrädern ein spannendes Abenteuer. Außerdem gibt es vieles, was gemeinsam mit Kindern mehr Spaß macht, sei es ein Besuch bei Hagenbeck oder auf dem Dom. Wenn dann die siebenjährige Tochter ihre Begegnungen mit Mensch und Tier beschreibt, untermalt von pantomimischen Einlagen, sieht vieles einfach bunter aus. Etwas später eröffnen sich ganz andere Möglichkeiten: Die politisch-philosophisch Diskussion mit 10jährigen beschenkt die Alte mit neuen Blicken auf ihre 68er Weltanschauung.

Muttersein ist aber auch stressig, macht Angst und Sorgen, kann Geld- und Wohnungsnöte bringen. Das liegt zuallererst daran, daß in Hamburg über 60 Prozent der Mütter berufstätig sind — mehr als in anderen Städten —, aber nur die wenigsten eine geregelte Betreuung für ihr Kind haben.

Betreuung für Schulkinder heißt Glotze oder Straße

Richtig schwierig wird es für Berufstätige, wenn sie nach landläufiger Auffassung „aus dem Gröbsten raus“ sind. Wenn die Kinder in die Schule kommen, ist die Ära von Windeln und durchwachten Nächten zwar überstanden, aber oftmals auch Schluß mit dem Kindergarten oder der Kindergruppe. Babysitter, die einst liebevoll den Säugling versorgten, sind von wilden ABC- Schützen überfordert und suchen sich einen neuen Job, die Großeltern können auch nicht mehr so wie früher. Nachmittagsbetreuung für Schulkinder, im Hort oder in der Schule, ist in Hamburg absolute Mangelware. Es gibt gerade mal für jedes elfte der kleineren Schulkinder einen Platz.

Spätestens nach der vierten Klasse ist endgültig Schluß mit der staatlich unterstützten Betreuung. Das bedeutet: kein Hort, nix Mittagessen. Im schlechtesten Fall hängen die Kinder auf der Straße, im nicht besseren vor der Glotze. Damit werden steuerzahlende Mütter mit ihrer Doppelaufgabe schmählich im Stich gelassen. Statt vom Staat unterstützt zu werden, überläßt dieser seine Mitverantwortung beim Nachwuchs den Fernsehsendern mit ihren brutalen Realityshows, dümmlichen Werbeblöcken, geistlosen Gewinnspielen. Berufstätige müssen deshalb allerlei Tricks durchexerzieren. Nachbarinnen und Freundinnen werden eingespannt, solange sie dies mitmachen. Und Tag für Tag überfällt Mütter nachmittags am Arbeitsplatz die Sorge, ob denn auch alles geklappt hat, der oder die Kleine wirklich bei der Freundin gelandet ist. Schlechtes Gewissen inklusive.

Neidisch blicken deutsche Mütter über die Grenzen. Während die Französinnen und Belgierinnen ihre Kinder in Ganztagsschulen oder Horten bis 19, vereinzelt gar bis 20 Uhr versorgt wissen, kommen ihre mütterlichen Ängste und Schuldgefühle pünktlich wie die Mittagspause — spätestens ab dreizehn Uhr dreißig. Um das „schreckliche Dilemma“ der berufstätigen Mutter zu lösen, benötigt frau vor allem ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen. Davon ist man(n) in Hamburg und Umland weit entfernt. „Viele hören auf zu arbeiten, wenn die Kinder in die Schule kommen“, weiß Susanne Meuthin vom Verein „MütterCourage“. So würden Mütter zu Sozialfällen gemacht.

Muttersein hat viel mit Selbstverleugnung zu tun. Viele Mütter lassen ihre Kinder in der Arbeitswelt „verschwinden“. In den Bewerbungsunterlagen werden sie verschwiegen und erst beim Vorstellungsgespräch zaghaft wieder hervorgeholt. Darauf folgt — wie das Amen in der Kirche — die scheinbar besorgte Frage: „Und was machen Sie mit Ihren Kindern während der Arbeitszeit?“ Eine durchaus verständliche Frage, denn Betriebskindergärten gibt es mal ganze drei in Hamburg.

Viele Mütter arbeiten „weit unter Qualifikation“, als Verkäuferinnen oder Putzfrauen. Zigtausende von Hamburger Müttern arbeiten in ungeschützten, oft berufsfremden Arbeitsverhältnissen, ohne Sozialversicherung und geregelten Urlaub, schätzt Susanne Meuthien. Diese 530-Marks-Job machen mangels Stellen mit flexiblen Arbeitszeiten zu 90 Prozent Frauen, die Mehrzahl davon Mütter.

Unter anderem deshalb sei die Privatisierung des öffentlichen Reinigungsgewerbes in Hamburg ein

1Schlag, der besonders viele Mütter träfe. Typische „Hausfrauenjobs“ sind auch die Nachtschichten beim Paketpostamt am Kaltenkircher Platz. Hier sortieren als Daueraushilfen ohne feste Anstellung Mütter, die tagsüber ihre Kinder betreuen, die Nacht durch Pakete — Knochenarbeit.

„Obwohl Frauen laut Statistik bessere Schul-, Berufs- und Studienabschlüsse haben als Männer, qualifiziert sind wie nie zuvor, werden sie als Mütter mehr denn je ins Abseits gedrängt“, sagt Susanne Meuthien. Die Folge ist Armut: Unter den SozialhilfeempfängerInnen stellen Frauen mit Kindern den größten Anteil.

Katastrophal ist die Wohnungssituation vieler Mütter, speziell in Hamburg. Susanne Meuthien: „Die Stadt entwickelt sich zu Yuppietown mit zunehmendem Arm- Reich-Gefälle.“ Die Umwandlungswelle von Miet- in Eigentumswohnungen würde als erstes Frauen mit

1Kindern mit kleinem Einkommen treffen. Die Viertel werden entmischt, in die Armutsviertel ziehen immer mehr Frauen mit Kindern. Unter den schätzungsweise mehr als 70 000 Wohnungslosen der Hansestadt sind viele Mütter. Die Wohnungslosigkeit von Müttern ist aber vielfach verdeckt. Wie viele der 12 000 Menschen, die 1990 trotz Dringlichkeitsschein keine entsprechende Wohnung bekamen, Frauen mit Kindern sind, weist keine Hamburger Statistik aus.

Frauen mit Kindern werden aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt, weil sich Nachbarn über den Lärm der Kinder beschweren. Sie landen auf der Straße. Hunderte von Familien mit Kindern leben in Hotels oder Heimen.

Muttersein in der Stadt kann die Hölle sein. Der Autoverkehr macht Müttern den Alltag zur Qual. Die täglichen Fußwege mit Kindern an der Hand oder mit Kinderwagen sind manchmal der reinste Hürden-

1lauf zwischen Autos, die den Bürgersteig zuparken oder aus Garagen auf den Fußweg preschen. „Den Krach und Gestank erlebe ich erst so richtig hautnah, seit ich mit Kindern unterwegs bin“, in diese Klage einer Mutter würden wohl die meisten Hamburger Mütter laut miteinstimmen.

Abholen vom Kindergarten in der Rush-hour. Nachmittags versteht frau auf der Straße ihr eigenes Wort nicht mehr und schon gar nicht das ihres Kindes. Die Lütten sind prall voll mit Erlebnissen und Fragen, die sie in den Autolärm brüllen. Auspuffgase wabern genau in Nasenhöhe der Kleinen besonders konzentriert, und Muttern plagt die alte Frage: „Müßte ich nicht doch ins Grüne ziehen? Aber wie soll ich das machen mit dem Job in der Stadt?“ Zum Spielen, Toben und Klönen sind die Straßen in der Stadt kaum noch zu gebrauchen. Mit jedem Kind, das auf Hamburgs Straßen angefahren wird,

1wächst die Angst der Mütter um ihre Kinder.

„Von der weitesgehend unbekannten Wirklichkeit von Frauen mit Kindern etwas sichtbar machen“ soll der erste Hamburger Mütterkongreß, der morgen, am Muttertag, in der Hochschule für Wirtschaft und Politik stattfindet.

Vorbereitet haben den Kongreß zwölf Frauen aus den unterschiedlichsten politischen Gruppen, mit insgesamt 22 Kindern. Sechs der Frauen gehören zum Verein „MütterCourage e.V.“ Thema der Veranstaltung soll die „ökonomische Situation von Frauen mit Kindern in Hamburg“ sein. Folgende Arbeitsgruppen stehen Interessentinnen offen: Erwerbsarbeit, Unbezahlte Frauenarbeit, Wohnungsnot, Alleinerziehende, Wiedereinstieg ins Berufsleben und andere mehr.

Mütterkongreß, Sonntag den 9. Mai, Hochschule für Wirtschaft und Politik, Von-Melle-Park 9, von 10 bis 20 Uhr. Vera Stadie/tom