Weiter Weg zur Krisenberatung

■ Der Jugendnotdienst will künftig nur noch in der Tschaikowski-Straße in Pankow beraten / Umzug stößt auf Kritik / Viele Jugendliche trauen sich nicht in den Osten

Berlin. Meist ist es sehr ruhig in der Tschaikowski-Straße in Pankow. Selbst bei gutem Wetter trifft man kaum jemanden auf der Straße zwischen Schloßpark und Friedhof, es locken weder Cafés noch Geschäfte. Auch abends gibt es kein Nachtleben. Wie auch – U- und S-Bahn-Stationen sind weit, nur Busse und Straßenbahnen halten in der Nähe.

Im Sommer will der Jugendnotdienst seine Beratungsstelle aus der Mindener Straße in Charlottenburg in die Tschaikowski- Straße verlegen. Bereits jetzt logieren die Verwaltung, eine Beratungsstelle, der Mädchennotdienst und eine Übernachtungseinrichtung in dem Gebäude. „Die Räumlichkeiten in der Mindener Straße sind zu begrenzt, hier haben wir den Platz, den wir brauchen“, begründet Leiter Adam Ostertag den Umzug. Er will eine zentrale Adresse und Telefonnummer für den Notdienst. „Jugendliche sollen sich nicht erst selbst analysieren müssen, ehe sie wissen, welche Beratungsstelle für sie zuständig ist.“ Auch der Arbeitsablauf sei sinnvoller zu koordinieren, und die Wartezeiten seien kürzer, wenn man das Personal auf eine Stelle konzentriere. Doch der Umzug stößt auf Kritik. Der Arbeitskreis „Jugendberatung und Wohnen“ hat in einem Schreiben den Senat aufgefordert, die bisher getrennt arbeitenden Beratungsstellen in der Mindener und der Tschaikowski-Straße zu erhalten. Den Standort in Pankow halten die etwa 25 SozialarbeiterInnen für ungeeignet. Nicht nur die fehlende Infrastruktur und die dämmrige Beleuchtung könnten in Streß- und Konfliktsituationen zusätzlich belastend wirken. Ein Blick auf den Stadt-Nahverkehrsplan verdeutliche die „alles andere als verkehrsgünstige“ Lage. Jugendliche bräuchten eineinhalb bis zwei Stunden, um an den nordöstlichen Stadtrand zu reisen, um nach der Beratung unter Umständen zum Übernachten in die Mindener Straße geschickt zu werden. „Dies ist unserer Meinung nach Minderjährigen in einer Notsituation nicht zumutbar“, heißt es in dem Papier.

„Viele Jugendliche, vor allem Mädchen und türkische Jugendliche, haben Schwierigkeiten damit, in den Osten zu fahren“, beobachtete Wolfgang Nitze, Mitglied im AK, in der Jugendberatung am Kotti. Auch wenn ihnen dort nicht mehr Gefahr drohe – die Ängste blieben. Er wehrt sich auch gegen eine zentrale Beratungsstelle. Eine kleinere Einrichtung mit vertrauten MitarbeiterInnen sei für Jugendliche angenehmer. Es habe sich gezeigt, daß Sozialarbeiter ganz anderen Zugang zu Jugendlichen gewinnen könnten, wenn sie an deren Wohnort arbeiteten.

„Grundsätzlich brauchen wir möglichst viele dezentrale und niedrigschwellige Übernachtungsangebote für Jugendliche in Krisensituationen“, so Nitze. Sie sollten den Konflikten oder Mißhandlungen in den Familien entzogen sein, trotzdem weiter zur Schule gehen und ihr soziales Umfeld aufrechterhalten können. Kurze Wege zur Beratungsstelle seien die äußere Voraussetzung für ein Vertrauensverhältnis zu den Beratern.

Das findet Elgen Schelens von der Senatsverwaltung für Jugend eigentlich auch – nur sollten dafür die Bezirke sorgen. „Wir sind nur für diejenigen zuständig, die von den Bezirken nicht aufgefangen werden können.“ Bis auf Kreuzberg und Neukölln, die wenige Plätze in Kinder- oder Jugendwohnheimen zu Krisenübernachtungsplätzen umfunktioniert haben, wird da bislang jedoch nur diskutiert. Corinna Raupach