1.-Mai-Ritual mit Überraschung

In Berlin brachen Autonome ihre Demonstration ab / Krawall in Kreuzberg und Prenzlauer Berg / Neonazis marschierten auf / FAP überfiel ZDF-Journalisten  ■ Aus Berlin Severin Weiland und Dirk Wildt

Die „revolutionäre 1. Mai-Demonstration“ im Berliner Bezirk Kreuzberg funktioniert wie eine gut geölte Maschine. Seit 1987 ähneln sich die Bilder von steinewerfenden Demonstranten und prügelnden Polizisten. Was wechselt, ist das Outfit der autonomen Szene und die Ausrüstung der Weißbehelmten. Doch dieses Jahr gab es eine Überraschung: Noch bevor der Kundgebungsort am Rosenthaler Platz im Bezirk Mitte erreicht war, lösten die Veranstalter die Demonstration am Roten Rathaus auf – ein bisher einmaliger Vorgang. „Wir wollten die Teilnehmer nicht länger gefährden“, meinte eine der Organisatorinnen gestern auf einer Pressekonferenz.

Tatsächlich war der Zug, der in Kreuzberg laut Veranstalter mit 10.000 Teilnehmern (die Polizei sprach von 5.500) begonnen hatte, bis zum späten Nachmittag auf rund 2.000 Personen geschrumpft. Die polizeiliche Taktik an diesem heißen Nachmittag schien aufgegangen zu sein: Die Beamten hatten wiederholt Breschen in den Zug geschlagen und dabei Vermummte wie Unvermummte herausgegriffen. Was kommen mußte, kam: Brandsätze, Flaschen, Dosen und Steine. Vor dem Haßobjekt der Szene, dem Sitz der Olympia- GmbH im Bezirk Mitte, ließ die Staatsgewalt, die rund 3.000 Polizisten und 1.000 Beamte des Bundesgrenzschutzes aufgeboten hatte, schließlich ihre Muskeln spielen. Zwei Wasserwerfer und Räumpanzer fuhren auf, wieder gab es Festnahmen, Verletzte.

Spätestens hier verscherzte sich die Polizei die Sympathie, die ihr noch in Kreuzberg entgegengeschlagen war. Denn unter dem Gejohle und Applaus der schwarzgekleideten Menge hatten Polizisten einen Lautsprecherwagen der maoistisch-stalinistischen RIM gewaltsam aus dem Zug entfernt und ihn so davor bewahrt, von Autonomen vollständig demoliert zu werden. Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen, wie sie inzwischen auf jeder autonomen Großdemonstration zu sehen sind. Wieder einmal hatten sich RIM-Anhänger gewaltsam in den autonomen Block gedrängelt und schreckten dabei auch nicht davor zurück, sich den Platz mit meterlangen Holzlatten zu erkämpfen.

Traditionelle Kinderrandale in der Nacht

So ritualisiert, wie die Demo durch Berlins Zentrum zog, ging es dann auch in den Abendstunden weiter. Auf einem ganztägigen Fest der autonomen Szene im Bezirk Prenzlauer Berg wurde abends ein Feuer entzündet, worauf die Polizei einschritt. Darauf wurden in den Nebenstraßen rund um den Helmholtzplatz Bauwagen umgekippt, von Jugendlichen Barrikaden errichtet, die die Polizei mit Räumpanzern und Wasserwerfern entfernte. In Kreuzberg begann die Auseinandersetzung zunächst mit Sitzblockaden auf Straßen. Die herbeieilenden Mannschaftswagen wurden mit Steinen beworfen. Worauf wiederum die Beamten die jeweilige Straße räumten – je nach Situation durch Prügel oder mit Wasserwerfer. Hatten an der Demonstration am Nachmittag noch Tausende von Autonomen teilgenommen, schienen diese in der Nacht in Kreuzberg in die Minderheit geraten zu sein. Besonders an den Flaschenwürfen beteiligten sich auffällig viel Besoffene. Wie schon in den vergangenen Jahren randalierten auch türkische Berliner Kids. Insgesamt nahm die Polizei während des 1. Mai 169 Personen fest – 115 Strafverfahren wegen Sachbeschädigung oder schweren Landfriedensbruchs wurden eingeleitet. Laut Polizeibericht sind 19 Polizisten verletzt worden. Für die Polizei war es ein vergleichsweise ruhiger 1. Mai: Im vergangenen Jahr waren 286 Personen festgenommen worden.

Rechte marschieren, Polizei drängt Antifaschisten ab

Zeitgleich zu der „revolutionären 1. Mai-Demo“ startete kurz nach 14 Uhr in Friedrichshain ein Aufmarsch der rechtsradikalen Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei (FAP). In militärischer Ordnung rückten die Rechten in Dreierreihen durch den Bezirk. Der 65jährige Bundesvorsitzende Friedhelm Busse und der Berliner Landesvorsitzende Lars Burmeister gaben über Megaphon Parolen vor wie „1. Mai chaotenfrei“ oder „Hier marschiert die FAP“. Die Polizei fing Antifaschisten schon in der Umgebung ab, so daß schließlich nur etwa 25 Linke auf die Rechtsradikalen trafen. Es kam mehrere Male zu kleineren Prügeleien.

Unter den Reportern, die den Aufzug begleiteten, befand sich auch der ZDF-Journalist Peter Krüger. Der 49jährige war in der Nacht zuvor von dem 18jährigen Stefan Schmidt überfallen worden, der auf den Journalisten dreimal mit einem Messer einstach – auch in den Bauch. Krüger entging laut eigenen Angaben nur deshalb einer lebensgefährlichen Verletzung, weil er „einen etwas dicken Bauch“ habe. Er hat gegen den FAPler wegen schwerer Körperverletzung Anzeige gestellt.