Interview
: "Unsere Angst ist ihre Stärke"

■ Die Zahl der Gewalttaten gegen Schwule wächst. Ein Opfer erzählt:

INTERVIEW

»Unsere Angst ist ihre Stärke« Die Zahl der Gewalttaten gegen Schwule wächst.

Ein Opfer erzählt:

José (Name geändert), 22, wurde im Februar in St. Pauli zusammengeschlagen, weil er sich zu seinem Schwulsein bekannte.

Bitte schildere den Überfall.

Ich war mit zwei Transvestiten in einem Imbiß in der Hein-Hoyer- Straße. Als die beiden gingen, beschimpfte mich ein etwa 35 Jahre alter Mann als „scheiß Schwulen“. Ich sagte: „Ja, ich bin schwul, na und?“ und warf ihm vor, er sei ein Nazi. Er antwortete, er könne kein Nazi sein, schließlich sei er Engländer. Ein anderer Gast erklärte, daß er sich trotz seines „Stoppt den Hass!“-Buttons wie ein Nazi verhalte, wenn er Schwule beschimpft. Der Mann verließ dann den Laden, muß mir aber aufgelauert haben. Als ich aus der Tür kam, riß er mich zu Boden, schlug mich und trat auf mich ein.

Im Krankenhaus wurden Prellungen am Schädel und am Körper festgestellt. Daß nichts schlimmeres passiert ist, liegt wohl auch daran, daß ich eine Schutzhaltung für Kopf, Bauch und Geschlechtsteile gelernt habe.

Hat dir niemand geholfen?

Ich habe laut um Hilfe gerufen. Aber keiner der Leute, die vorbeikamen, hat mir geholfen. Auch die Frau aus dem Imbiß, die alles gesehen haben muß, hat nichts unternommen. Sie hat mich nicht einmal wieder reingelassen, als alles vorbei war.

Hast du den Überfall angezeigt?

Ich bin noch am gleichen Tag zur Davidswache gegangen. Die Polizisten wollten mehr über meine Tasche wissen, die der Typ mitgenommen hat, als über den Überfall. Mindestens dreimal habe ich gesagt, daß ich den Fall als Gewalttat gegen einen Schwulen melden möchte. Das hat sie scheinbar nur wenig interessiert.

? Welche anderen Stellen hast du informiert?

Ich habe den Fall im schwulen Infoladen „Hein & Fiete“ gemeldet und beim Antirassistischen Telefon. Außerdem habe ich die Gruppe „Anti-Gewalt gegen Schwule“ informiert.

Was haben die dir geraten?

Beim Antirassistischen Telefon hat man mir angeboten, sie bei ähnlichen Situationen gleich anzurufen. Sie würden dann kommen und mich abholen. Bei Hein & Fiete haben sie den Fall nur aufgeschrieben.

Verhältst du dich jetzt anders?

Ich bin vorsichtiger geworden und habe nun immer Reizgas bei mir. Das löst zwar das Problem der Homophobie nicht, aber als Vorsichtsmaßnahme halte ich es für notwendig. Im übrigen finde ich, daß wir uns vor der Gewalt nicht verstecken sollten. Unsere Angst ist die Stärke der anderen. Wir sollten keine Angst zeigen, sondern uns der Situtation stellen und uns nicht alles gefallen lassen.

Das Interview führte Werner Hinzpeter