Interview
: Keine Zeit für Filmskripts

■ Der Avantgardefilmer Jonas Mekas über seine Arbeit und die Zeit im Dritten Reich

INTERVIEW

Keine Zeit für Filmskripts Der Avantgardefilmer

Jonas Mekas über seine Arbeit und die Zeit im Dritten Reich

Jonas Mekas (70) gehört zu den „Vätern“ der amerikanischen Film-Avantgarde. Es hat die Beat- und Pop-Generation in experimentellen Streifen verewigt und leitet heute das „Anthology Film Archive“ in New York. Anläßlich einer Werkschau im Metropolis Anfang der Woche sprach Werner Hinzpeter mit dem geborenen Litauer.

Warum haben Sie für Ihre Filme die Tagebuch-Form gewählt?

Ich hatte nie lang genug Zeit für Filmskripts, weil meine anderen Aktivitäten wie Schreiben oder Filmvertrieb soviel Zeit in Anspruch nahmen. Deshalb habe ich immer dann gefilmt, wenn ich Gelegenheit dazu hatte. Diese einfache Form habe ich aber auch aus finanziellen Gründen gewählt.

Sie arbeiten also ohne Drehbücher?

Ich habe nie geplant, sondern einfach gefilmt. Bevor ein Film daraus wird, sammle ich das Material, zeige es Freunden und weiß einfach, daß es da ist. Wenn dann Zeit vergeht, bekommt man mehr Abstand zu den Bildern. Sie werden wie ein Buch, in dem man liest.

Haben Sie schon mal überlegt, für einen Film Zugeständnisse an das breite Publikum zu machen?

Meine Filme haben eine Menge Zuschauer. Aber ich habe bei meiner Arbeit nie an das Publikum gedacht, sondern immer nur auf künstlerische Aspekte geachtet. Wichtig ist es mir, wirklich den Kern einer Situation zu erfassen und aufzunehmen.

Setzen Sie Ihre Filmaufnahmen fort?

Ja, ich sammle auch heute weiterhin Material. Im Moment arbeite ich auch mit der Videokamera. Ich bin an bewegten Bildern interessiert und habe keine Vorurteile gegen Video. Für Filmemacher gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten mit verschiedenen Filmbreiten, Video oder Computer. Ich bestreite nicht den Unterschied zwischen ihnen, aber ich werte ihn genausowenig wie den zwischen Orgel und Trompete.

Wie erleben Sie als Opfer des Nazi- Terrors ein Deutschland mit wachsendem Rechtsextremismus?

Ich habe keine Aversionen gegen Deutsche an sich. Selbst in meiner Zeit in Arbeitslagern gab es immer Leute, die mir zu essen gaben. Es ist nicht gut, daß es Neonazis gibt, aber das sind nur kleine Gruppen.

Sie sind als Exilant in die USA gegangen. Im Film „Lost, Lost, Lost“ schildern Sie Ihren Wunsch, nach Litauen zurückzukehren ...

Ich bin schon 1972 wieder in Litauen gewesen und würde auch sehr gerne wieder dort leben. Es gibt jedoch praktische Gründe, die dagegen sprechen. In Ost-Europa gibt es keine Möglichkeiten für avantgardistischen Film. Mein Zuhause sind jetzt die „Anthology Film Archives“. Dort ist meine Anwesenheit nützlicher.