Endloser Prozeß um eine Nichtigkeit

Eine WAA-Gegnerin stand zum sechsten Mal vor Gericht / Ihre gewaltfreie Ankettungsaktion am Bauzaun wurde mehr als sechs Jahre danach als Nötigung verurteilt  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Auch in Zeiten, wo sich vieles verändert, kann man sich auf sie felsenfest verlassen. Gnadenlos verfolgt die bayerische Justiz vermeintliche Straftaten. Nein, es geht nicht um die vielen „amigos“ im schwarzen Filz, sondern um DemonstrantInnen gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Auch wenn das Jahrhundertprojekt schon seit vier Jahren beerdigt ist, auch wenn die „Tat“ mehr als sechs Jahre zurückliegt, auch wenn die Aktion absolut gewaltlos war und auch wenn zwei Gerichte vorher einen lupenreinen Freispruch ausgesprochen haben. Für die Staatsanwaltschaft und das Justizministerium zählte und zählt nur die Verurteilung. Jetzt hat sie wieder eine erreicht. Die mittlerweile 36jährige Nürnberger Bildungsreferentin Monika Ott wurde gestern vom Landgericht Nürnberg-Fürth der gemeinschaftlichen Nötigung für schuldig befunden.

Am 23. Juni 1986 hatte sich Monika Ott zusammen mit neun weiteren Personen an das Haupttor der WAA angekettet. Mit ihrer Aktion wollte die „Gewaltfreie Aktionsgruppe Sandkörner“ vor allem mit Bauarbeitern und Polizisten über die Gefährlichkeit der Atomanlage ins Gespräch kommen. Gerade kurz nach dem GAU von Tschernobyl und den bis dahin blutigsten Auseinandersetzungen am Bauzaun der WAA Pfingsten 1986 ging es der Gruppe um absolute Gewaltfreiheit. Das beeindruckte sogar die Polizisten. Die ließen die Blockierer gewähren, holten gar ein Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks. Endlich sollte mal der Zuschauer daheim sich nicht an Randalebildern ergötzen, sondern friedliche Eindrücke aus Wackersdorf präsentiert bekommen.

Auch die Bauarbeiter in ihren schweren Lastzügen waren eher amüsiert denn empört über die dreistündige Blockade. Genötigt gefühlt haben sie sich nach ihren eigenen Einlassungen jedenfalls nicht. Kein Grund jedoch für die dem Justizministerium weisungsgebundene Anklagebehörde in Schwandorf, nicht einzugreifen. Zwar mußte erst einmal ein Staatsanwalt abgelöst werden, weil er keinen Grund für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gesehen hatte, aber dann mahlten die Mühlen der Justiz auf Hochtouren.

Das Amtsgericht Schwandorf verwarnte 1988 Monika Ott unter Strafvorbehalt von 20 Tagessätzen á 20 Mark wegen gemeinschaftlicher Nötigung. Die Strafe war auf zwei Jahre Bewährung ausgelegt und mit einer Geldauflage von 400 Mark verbunden. Monika Ott zog vor das Landgericht Amberg. Die Berufungsverhandlung endete im Januar 1990 mit einem glatten Freispruch. Das ließ die Staatsanwaltschaft nicht ruhen. Das Bayerische Oberste Landesgericht wußte, was sich im Freistaat gehört. Es kassierte den Freispruch und verwies die Angelegenheit an eine andere Kammer des Amberger Landgerichts zurück. Doch auch die neue Kammer machte den bayerischen Strafverfolgungsbehörden Kummer. Erneut sprach sie Monika Ott frei. Jetzt war wieder das Oberste Landgericht daran. Der Freispruch wurde im Mai 1992 erneut kassiert. Doch an welche Kammer sollte man jetzt wieder zurückverweisen? Amberg schied aus, war schon zweimal unzuverlässig. Also dann nach Nürnberg ans Landgericht.

Dort mußte sich seit dem 22. März Richter Klaus Skauradzun mit der Altlast der bayerischen Justiz befassen. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Nicht nur weil fast sieben Jahre nach dem Vorfall das Erinnerungsvermögen der Zeugen gegen null tendiert, sondern weil in einer Fülle von Nötigungsprozessen landauf, landab in der Republik unterschiedlichste Auslegungen des Strafrechtsparagraphen 240 zum Tragen gekommen sind. Selbst ein entsprechendes Verfahren beim Bundesverfassungsgericht ist anhängig, um die strittige Rechtsfrage zu klären. Bislang müssen zwei Kriterien im Falle der Nötigung erfüllt sein: das Vorliegen von Gewalt sowie der Umstand, daß die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich gilt.

In seinem Urteil geht das Landgericht Nürnberg von einem so weit gedehnten Gewaltbegriff aus, daß die gewaltlose Aktion der „Sandkörner“ gerade noch darunter fällt. Auch die Frage der „Verwerflichkeit“ bejahte das Nürnberger Landgericht, da die Ankettungsaktion die Willensfreiheit Dritter, die der Lkw-Fahrer, beeinträchtigt hätte.

Der Fall war also klar: schuldig. Aber was dann mit der auch vom Landgericht der Angeklagten zweifelsfrei zugestandenen ehrenwerten Motivation, mit ihrem gewaltfreien Vorgehen und ihrer Dialogbereitschaft? Das Landgericht entschied sich für die niedrigste aller möglichen Strafen, die Verwarnung unter Strafvorbehalt. Die mit der Bewährung verbundene Geldauflage strich man ersatzlos weg. Diese Mogelpackung aus schlechtem Gewissen gefiel der Staatsanwaltschaft, aber nicht der Angeklagten. Monika Ott wird Revision einlegen. Die Runde Nummer sieben ist eingeläutet.