"Abbrechen, abtreiben oder reich heiraten"

■ Weil sie keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, geraten alleinstehende schwangere Studentinnen in eine prekäre Situation. Ist das Kind erst da, fällt auch der Bafög-Anspruch weg. Dann bleiben...

in eine prekäre Situation. Ist das Kind erst da, fällt auch der Bafög-Anspruch weg. Dann bleiben ihnen nur zwei Alternativen: das Studium abzubrechen oder sich irgendwie durchzumogeln.

Als die Studentin Monika Baumann* im 7. Semester schwanger wurde, ging sie zur Bafög-Beratung an ihrem Fachbereich, um zu fragen, ob es finanzielle Nachteile habe, wenn sie sich vom Studium beurlauben lasse. „Nein“, lautete die Antwort eines Professors, der wohl nicht richtig informiert war. Denn die monatlichen Bafög-Zahlungen blieben prompt aus. Es sei doch klar, erfuhr Monika Baumann beim Bafög-Amt, wenn sie nicht studiere, gebe es auch keine Ausbildungsförderung.

Die werdende Mutter, inzwischen im fünften Monat, ging zum Sozialamt. Doch auch dort hieß es „njet“. Monika Baumann bekam keinen Pfennig, weder ein Darlehen noch ein Überbrückungsgeld oder gar Kleidergeld für Schwangere. Sie solle sich doch Umstandskleider von Bekannten leihen und bei der Caritas nach Geld fragen, hieß es. „Das habe ich dann auch gemacht“, erinnert sich die Studentin. Bis zur Entbindung habe sie 2 Mark 50 pro Tag fürs Essen gehabt, „das kam echt gut“.

Vom Sozialamt zur Aufgabe gezwungen

Alleinerziehende Studentinen fallen in eine Gesetzeslücke, erklärt Joachim Schaller von der Studienberatung an der Hochschule für Wirtschaft und Politik. Da StudentInnen — mit Ausnahme des Bafög — grundsätzlich von allen sozialen Leistungen ausgeschlossen sind, bleibt ihnen nur die Sozialhilfe fürs Kind und ein Mehrbedarfs-Zuschlag für Alleinerziehende. Weil dies zum Leben nicht reicht, müssen die jungen Mütter sich vom Studium beurlauben lassen oder es abbrechen, um nicht zu verhungern.

Oder beides nacheinander, wie es der Geschichts-Studentin Ulrike Schröder* widerfuhr. Die 37jährige hatte sich nach der Geburt ihres dritten Kindes beurlauben lassen. Nach zwei Semestern Pause setzte ihr das Sozialamt die Pistole auf die Brust: entweder sie lasse sich exmatrikulieren oder es gebe kein Geld mehr. Die gelernte Krankenschwester, die bereits einen dreijährigen Kampf mit den Gerichten hinter sich hat, gab entnervt auf. Statt der geplanten wissenschaftlichen Karriere tritt sie jetzt eine Umschulung zur Verwaltungsfachfrau an. Auf Staatskosten!

Eigentlich hatte Ulrike Schröder nie die Absicht, sich beurlauben zu lassen. Es sei ihr durchaus möglich, auch mit Baby sechs Semesterwochenstunden zu studieren, legte sie dem Sozialamt dar, als sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes Hilfe zum Lebensunterhalt beantragte. Sie berief sich auf die Härtefall-Regelung des Sozialhilfe-Gesetzes, wonach es Müttern mit Kindern

1unter drei Jahren nicht zuzumuten ist, arbeiten zu gehen, wenn sie keinen Krippenplatz haben. Das Amt lehnte ab, die Studentin zog vors Verwaltungsgericht und anschließend vors Oberverwaltungsgericht. Ohne Erfolg. Es sei Ulrike Schröder durchaus zuzumuten, in der Zeit, in der sie studieren wolle, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, urteilten die Hamburger OVG-Richter im November 1990. „Ich bin dann betteln gegangen“, erinnert sich die Geschichtsstudentin, mal habe sie 500 Mark vom Studentenwerk bekommen, dann 300 Mark von der Katholischen Studentengemeinde, dann 600 Mark von einer Stiftung aus Lübeck. Schließlich gab sie auf und ließ sich beurlauben, mit oben erwähntem Endergebnis.

Ulrike Schröders Pech war, daß sie wegen ihrer älteren Kinder nur langsam studieren konnte und die Bafög-Höchstdauer schon überschritten hatte. Wenigstens in diesem Punkt hatten die Gesetzgeber jetzt ein Einsehen. Seit Sommer '92 wird die Bafög-Förderungsdauer für Mütter um bis zu vier Semester pro Kind verlängert. Eine nette Geste, von der aber nur wenige profitieren. Nicht mal ein Fünftel der Studenten kommt in den Genuß einer Ausbildungsförderung. Doch auch Bafög-Empfängerinnen werden Steine in den Weg gelegt. Während beurlaubte Studentinnen darlegen müssen, daß sie nicht studieren, kann es anderen passieren, daß sie das Gegenteil beweisen müssen.

So im Fall Monika Baumann. Nach dem Hungersemester im Winter 88/89 schrieb sie sich schleunigst wieder ein. Doch anderthalb Jahre später wurde sie wieder schwanger, eine Risiko- Schwangerschaft, wie sich herausstellte, bei der sie strikt im Bett liegen mußte. Die Ärztin überredete sie, zu Hause zu bleiben und nicht ins Krankenhaus zu gehen. Womit Monika Baumann nicht rechnete: die Drähte zwischen Krankenkasse und Bafög-Amt waren offenbar kurz. Ende Mai rief überraschend ihr Sachbearbeiter vom Bafög-Amt an und setzte sie massiv unter Druck: Es sei ja wohl offensichtlich, daß sie nicht studiere. Wenn sie nicht bis Juni nachweisen könne, daß sie neun Semesterwochenstunden der Uni widmet, müsse sie sich rückwirkend beurlauben lassen.

Der Bettlägerigen blieb nichts anderes übrig, als das gesamte Semester zu stornieren, mit der Folge, daß sie 3000 Mark an bereits erhaltener Ausbildungsförderung zurückzahlen mußte. Immerhin sprang diesmal das Sozialamt ein. Für drei Monate. Danach, im letzten Wintersemester, stapfte Monika Baumann mit dem Säugling trotz Kälte und Regen in die Uni,

1machte Scheine, die sie fürs Examen eigentlich nicht mehr benötigte, nur um den Bafög-Anspruch zu sichern.

Klaus Wonneberger, Leiter des Hamburger Bafög-Amtes, kann sich diesen Vorfall nicht erklären: „Gerade bei Schwangeren sind wir besonders hilfsbereit.“ Es sei schon richtig, daß nur Bafög-berechtigt sei, wer auch studiere, sprich mehr als die Hälfte seiner Arbeitskraft der Ausbildung widme. Auch werde die Ausbildungsförderung im Krankheitsfall nur drei Monate gezahlt, da längerfristig Kranke ein Fall fürs Sozialamt seien. „Aber eine Schwangerschaft würde ich nicht als Krankheit bezeichnen“. Die betreffende Studentin solle sich bei ihm melden, er werde das dann wieder geradebiegen.

Tatsächlich gibt es andere Studentinnen, die mit ihren Sachbearbeitern bessere Erfahrungen machen. Sie treffen auf freundliche Menschen, die Ermessensspielräume ausschöpfen oder auch mal ein Auge zudrücken. Sabine Waldmann* zum Beispiel wurde erst kurz vor der Geburt ihres Kindes die Bafög-Berechtigung aberkannt, weil ihre Eltern nach neueren Berechnungen „zuviel“ verdienten. „Meine Eltern konnten mir gar nicht zahlen, was ich brauche. Ich mochte ihnen auch nicht zumuten, auch noch meine kleine Familie durchzufüttern“, erinnert sich die heute 29jährige. Der Sachbearbeiter im Sozialamt wollte ihr zunächst nichts geben. „Ich hab dann ein bißchen Theater gespielt und so getan, als ob ich gleich niederkomme.“ Der Beamte bekam einen Schreck und wurde väterlich: „Das rechnen wir alles nochmal durch.“ Das klingt lustig, ist es aber nicht, weil es für Sabine Waldmann um ihre Existenz ging. Auch für sie war Beurlaubung die einzige Möglichkeit, ihr Studium fortsetzen zu können. Aus einem Info-Blatt der Studienberatung entnahm sie, daß

1auch Scheine, die während eines Urlaubssemesters gemacht werden, vom Prüfungsamt anerkannt werden können. Eine Kann-Bestimmung. Als sie diese Information vom Prüfungsamt schwarz auf weiß bestätigt haben wollte, biß sie auf Granit. Es komme auf den Einzelfall an, antwortete man der jungen Mutter. „Das Blöde ist, daß ich mich ständig am Rande der Illegalität befinde, seit ich ein Kind habe“, sagt Sabine Waldmann. Immer tricksen, immer ihren Charme spielen lassen müssen und nicht einfach auf ihr Recht pochen zu können, das mache sie ganz schön kirre.

Ich will Kinder doch nicht erst mit 40 bekommen

Auch ihre Freundin Miriam Schell* ist mittlerweile ziemlich genervt von dem Psychostreß, der da heißt, alleinerziehende studierende Mutter zu sein. Heute würde sie sich ernsthaft überlegen, ob sie das nochmal machen würde, aber sie habe ihre Kinder eben nicht erst mit 40 bekommen wollen. Die 30jährige Psychologie-Studentin, die kurz vor ihrem Examen schwanger wurde, hatte sich ausführlich beraten lassen und gewußt, daß sie als aktiv Studierende keinen Anspruch auf Sozialhilfe hat. Die ersten 18 Monate überbrückte sie denn auch notdürftig mit Hilfe der monatlichen 600 Mark Erziehungsgeld und der Sozialhilfe fürs Kind. Den ihr zustehenden Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende (inzwischen 203 Mark) mußte sie eigens per Widerspruch durchfechten. Der Sachbearbeiter im Sozialamt wollte ihn nicht bewilligen. Man kann's ja mal versuchen.

Nachdem die Zahlung des Erziehungsgelds im letzten Herbst auslief, wollte Miriam Schell beim Sozialamt ein einmaliges Examensdarlehen beantragen. Was sie nicht vorausahnen konnte: Just im November letzten Jahres haben die

1Hamburger Sozialamtsleiter diese einzige soziale Leistung für Studierende gestrichen.

Notgedrungen rang sich Miriam Schell zu einem Urlaubssemester durch. Da ihr die Professoren wohlgesonnen sind und ihr Studium weit fortgeschritten ist, könnte sie sich zu Hause auf ihr Examen vorbereiten. Nur, darf sie das? Miriam Schell hat Angst vor dem Termin, an dem das Sozialamt erfährt, daß sie ihr Studium abgeschlossen hat. Wird dann doch offensichtlich, daß sie sich nicht 100 Prozent ihrer Zeit der Pflege ihres kleinen Sohnes gewidmet hat.

Immer mit einem Bein in der Illegalität, immer auf die Kulanz der Behörden und Institutionen angewiesen, so läßt sich die Situation der alleinerziehenden studierenden Mütter zusammenfassen, denn es gibt keine gesetzliche Regelung für ihre Existenz. Tips und Ratschläge, wie denn mit dieser Situation fertig zu werden ist, werden denn auch nur hinter vorgehaltener Hand weitergegeben. Dabei wird die Gruppe der studierenden Eltern größer, elf Prozent der Hamburger Studentinnen haben Kinder. Und nur 16 Prozent der Studenten an der Hamburger Uni beziehen überhaupt Bafög. Zwei Drittel dagegen müssen ihren Lebensunterhalt durch Jobben verdienen — eine Möglichkeit, die nach dem Kinderkriegen entfällt. Also bleibt Beurlaubung für Studentinnen, die keine gutverdienenden Partner oder Eltern haben, der einzige Ausweg. Doch die Frage, ob währenddessen weiterstudiert werden darf, ist juristisch nicht geregelt. Es ist schlicht und einfach Glückssache, wie die Studentinnen klarkommen. Auch die Frage, wie lange diese Beurlaubung verlängert werden darf, ist ungeklärt. Ein Kind läßt sich ja nicht in zwei Semestern aufziehen.

Selbst der Anspruch auf Sozialhilfe ist bei Beurlaubungen nicht 100prozentig gesichert. Zwar sagt

1ein Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichts von Februar '82, daß Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden muß. Doch in Hamburg ist die Praxis „total uneinheitlich“, wie auch Studienberater Schaller berichtet: „Es liegt in der üblichen Willkür, daß Sozialhilfe mal gewährt wird und mal nicht.“ Vor allem Zuschläge, wie der für Alleinerziehende, würden oft widerrechtlich verwehrt. Seiner Meinung nach müßte es eine Weisung von Sozialsenator Ortwin Runde geben, Studentinnen mit Kind grundsätzlich Sozialhilfe zu zahlen. Doch das, so Schaller, „wäre eine politische Entscheidung“.

Nur, wer fühlt sich politisch zuständig? In Bonn hat es zwar mal eine umfassende Bundestagsanfrage zum Thema gegeben, real gefolgt ist darauf aber nichts. In Hamburg hat das Senatsamt zur Gleichstellung der Frau immerhin vor zwei Jahren einen Bericht zur Lage der studierenden Mütter verfaßt, der aber längst vergriffen ist. „Wir haben da einen Handlungsbedarf erkannt“, beteuert Pressereferentin Manuela Menge. „Es wird auch etwas erarbeitet, aber das kann dauern.“

„Es wäre für Sie einfacher, Sie würden das Kind nicht austragen“, hatte Monika Baumann in der Sozialberatung für Studenten an der Edmund-Siemers-Allee zu hören bekommen. „Wäre ich zynisch“, sagt Miriam Schell, „würde ich das heute anderen Kommilitoninnen auch raten.“ „Für schwangere Studentinnen“, das hat Ulrike Schröder aus ihrem Kampf gelernt, gibt es drei Möglichkeiten: „Abbrechen, abtreiben oder einen reichen Mann heiraten.“ „Oder sich durchmogeln“, sagt Sabine Waldmann. Und das strengt an. Kaija Kutter

*Da die Studentinnen auch weiterhin auf freundliche Sachbearbeiter angewiesen sind, die Ermessensspielräume ausnutzen, haben wir die Namen geändert.