Neun Monate Knast wegen Justiz-Pütscherei

■ Untersuchungshaft soll verlängert werden / Strafverteidigervereinigung bezeichnet die Justizpläne als Verfassungsbruch

als Verfassungsbruch.

Die „Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidiger“ hat sich entschieden gegen Pläne des Senats ausgesprochen, die zulässige Untersuchungshaftdauer von sechs auf neun Monate anzuheben. Die Juristen werfen der Landesregierung vor, indirekten Verfassungsbruch zu betreiben. Der Vorsitzende Otmar Kury in Juristenlatein: „Die Gesetzesinitiative läuft materiell auf die Verletzung des aus dem Grundgesetz herzuleitenden verfassungsmäßigen Grundrechts auf Verhältnismäßigkeit hinaus und führt dadurch zu einem rechtswidrigen Eingriff in ein wesentliches Rechtsgut des inhaftierten Beschuldigten.“

Den Stein hatte Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit ins Rollen gebracht. Die Senatorin war vor wenigen Monaten heftig ins Kreuzfeuer ihrer Kritiker geraten, nachdem die Justiz wegen Überlastung mehrere mutmaßliche Mörder und Schwerkriminelle entlassen mußte. In allen Fällen war es den Großen Strafkammern unmöglich gewesen, den Beschuldigten innerhalb der Sechs-Monats-Frist den Prozeß zu machen.

Da die Behörde aber kein Geld hat, weitere Richterstellen einzurichten, plädierte die Justizsenatorin dafür, kurzerhand die Untersuchungshaftdauer anzuheben, um derartige peinliche Skandale künftig zu verhindern. Der Senat beschloß vor kurzem eine Bundesratsinitiative zur Änderung der Strafprozeßordnung zu starten. Doch dieser Vorstoß verstößt nach Auffassung der Strafverteidiger gegen den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“. Es sei ein Unding, die Freiheitsrechte von Menschen anzutasten, um Versäumnisse und Pütschereien in der Justiz zu kaschieren. Kury: „Die Arbeitsmittel der Justiz sind altmodisch, teilweise unbrauchbar und zeitintensiv in der Bedienung.“

Auch die Einführung der Datenverarbeitung und Textsytseme sei zehn Jahre lang verpennt worden. Nach Auffasung der Strafverteidiger fehle es der Justiz vor allem an modernem Management. Kury: „Jedes moderne Krankenhaus hat eine eigene Verwaltung, die nicht von Ärzten und Chirugen betrieben wird. Auch der Bürgermeister einer Großstadt verwaltet nicht das Rathaus, sondern trifft politische Entscheidungen. In der Justiz ist das anders. Qualifizierte Richter betreiben Verwaltungsarbeit.“

Nach Auffasung der Strafverteidiger müssen unverzüglich politische Entscheidungen zur Entlastung der Justiz getroffen werden. So müsse die Strafverfolgung von Junkies durch eine Reform des Betäubungsmittelgesetzes endlich eingestellt werden. Kury: „Erst dadurch wird eine Konzentration auf die Dealerkriminalität möglich.“ Auch Strafverfolgungsvorschriften von Schwarzfahrern müßten endlich aus dem Strafgesetzbuch verbannt werden. Denn allein Hamburgs Richter sind jährlich mit 10 000 Schwarzfahrer-Verfahren belastet. Zudem könnten viele Verkehrsprozesse als

1Ordnungswidrigkeiten abgehandelt werden.

Die vom Senat geplante Änderung der Strafprozeßordnung würde nur dazu führen, „daß die Fristen für die Dauer der Untersuchungshaft in einem unerträglichen Maße verlängert werden, ohne daß dies zu einer zügigeren Verfahrensförderung führen würde“, so Kury. Zugleich erteilt der Anwalt dem Senat und der Justizbehörde Nach-

1hilfeunterricht in Verfassungsrecht: „Zum modernen Rechtsstaat gehört der Schutz des Einzelnen vor dem Unrecht, aber auch, daß ein Tatverdächtiger, für den die Unschuldvermutung streitet, durch Schaffung und Bewahrung überzeugender, geeigneter und strafprozessualer Instrumente geschützt wird und geschützt bleibt.“

Selbst in der Justizbehörde hat man offensichtlich verfassungs-

1rechtliche Bauchschmerzen über die eigene Bundesratsinitiative. In der Behörde hofft man daher, durch andere Maßnahmen den „Engpaß überwinden“ zu können. Sprecher Jürgen Weinert: „Eine Entspannung wird dadurch angestrebt, daß Gerichtsverhandlungen in Haftsachen künftig von den Gerichten gleichmäßiger auf alle Wochentage und Dienstzeiten verteilt werden.“ Kai von Appen