Hinter dem samtenen Vorhang

In der Tschechischen Republik nehmen die Übergriffe auf Roma und Ausländer zu / Anhängerschaft der rechtsextremen „Republikaner“ wächst vor allem im Industriegebiet Nordböhmen  ■ Von Paul Hockenos

Als die Tschechoslowakei am Silvesterabend des vergangenen Jahres aufgelöst wurde, da war es vielen Tschechen nicht unrecht, die als „unterentwickelt“ geltende Slowakei loszuwerden. Die Tschechen hatten sich immer als die echten Demokraten gefühlt, die Slowaken erschienen ihnen als kleinbürgerliche Nationalisten. Doch die Tschechische Republik erlebt inzwischen selbst einen Aufschwung des Chauvinismus. Der tschechische „Bierhallen-Nationalismus“ hat eine erfolgreiche ultrarechte Partei hervorgebracht, eine anwachsende Skinhead-Bewegung und ein Aufflammen rassistischer Gewalt.

Die ersten Anzeichen, daß im Land der „samtenen Revolution“ nicht alles zum besten stand, zeigten sich im April 1990, als die Übergriffe auf Roma und vietnamesische Arbeiter die Schlagzeilen in der Industrieregion Nordböhmen beherrschten. Präsident Havel reagierte sofort und wies auf die Gerüchte hin, hinter den Gewalttaten stünden desillusionierte Elemente des alten Apparats. Fremdenfeindlichkeit gab es in den tschechischen Gebieten jedoch schon lange bevor die Vertreter des Realsozialismus ihre Jobs verloren. 1987 konnte jeder Tourist in den Prager Bierhallen verfolgen, wie sich tschechische Skins offen mit deutschen und österreichischen Kumpanen verbrüderten. Untergrundbands wie die Gruppe Orlik predigten Haß gegen Punks, Roma, Studenten aus der Dritten Welt, Slowaken und Touristen. Im Gefolge der Revolution sammelten sich bei Orlik-Konzerten bis zu 600 Skinheads. Auf der Bühnen konnte man Posters mit Miroslav Sládek sehen, dem Führer der neu gegründeten „Republikanischen Partei“. Heute gibt es in Prag etwa 800 aktive Skins, in Nordböhmen sollen es über 2.000 sein. Meinungsumfragen zeigen, daß 90 Prozent der Tschechen negative Gefühle gegenüber den etwa 200.000 Roma empfinden. Menschenrechtsaktivisten sprechen heute von „regelrechten Rassenkriegen“ zwischen Roma und Tschechen in Nordböhmen. Häuserwände tragen gesprühte Graffiti wie „Hackt die Zigeuner in Fetzen!“ und „Zigeuner heim in die Slowakei!“. In einigen Städten sind umfassende neue Bestimmungen erlassen worden, wonach die Polizei ermächtigt ist, Zigeuner auszuweisen. Seinen politischen Ausdruck findet dieser Haß bei den „Republikanern“, die im letzten Jahr zu einer politischen Kraft in der ČSFR aufstiegen: mit 6,5 Prozent aller tschechischen Stimmen zog sie ins Parlament ein.

Im Unterschied zu anderen Ländern Osteuropas konzentriert sich der tschechische „Bierhallen- Nationalismus“ nicht auf territoriale Expansion oder nationale Unabhängigkeit. Eher dem Muster der westeuropäischen Kultur der neuen Rechten folgend, spielt er in erster Linie die rassischen Vorurteile und ökonomischen Ängste der Unter- und Mittelklassen aus. In einigen böhmischen Industriestädten erreichte die Partei so 15 bis 20 Prozent der Wählerstimmen. Der aus einem Bürokraten zum Politiker gewendete Mittdreißiger Sládek umwarb in aller Öffentlichkeit junge militante Skinheads und präsentierte die Republikaner als Partei der sozialen Sicherheit, von Gesetz und Ordnung. In demagogischen, heftig antikommunistischen öffentlichen Ansprachen wob er ein simples Netz für die unvermeidlichen Opfer des ökonomischen Übergangs. Und so hatte selbst der deutsche Republikaner-Chef Schönhuber die heftige antideutsche Rhetorik seines tschechischen Gegenstücks ignoriert und eine Grußbotschaft zum ersten Kongreß der Partei geschickt.

Das Parteiprogramm der tschechischen Republikaner erwähnt vage die Absicht, „das Problem der Zigeuner durch ihre Umsiedlung zu lösen“. Im Parlament hat dieses Ziel in dem von Sládek eingebrachten Gesetzentwurf für „außerordentliche Maßnahmen“ eine neue Form gefunden. Er zielt darauf ab, „der Unruhe ein Ende zu bereiten, die durch undisziplinierte Gruppen von Einwanderern ausgelöst wird“. Der Entwurf würde der Polizei und den lokalen Behörden umfassende Sonderbefugnisse verschaffen, Roma ohne gerichtliche Verfügung zu verhaften und einzusperren. Das Gesetz fordert, daß alle Neuankömmlinge in einer Stadt sich sofort bei den Behörden eine Aufenthaltserlaubnis verschaffen müssen oder mit Bußen und Ausweisung zu rechnen haben. Ortsfremde dürfen innerhalb von sechs Monaten höchstens fünf Tage in der Stadt bleiben.

Nach Ansicht von Klara Samtková, der Rechtsanwältin der „Bürgerinitiative für die Roma“, verletzen die Vorschläge der Republikaner „so ziemlich jedes internationale Abkommen über Menschenrechte“. Aber ins Parlament sei Sládek gerade aufgrund seiner haßerfüllten Rhetorik gegen die Roma gekommen.

Schon die bloße Zugehörigkeit der Republikaner zur tschechischen Legislative verleiht der Tschechischen Politik nach der Teilung des Landes ein neues Gesicht. Während der im Fernsehen übertragenen Wahl des tschechischen Staatspräsidenten im Januar verursachten die elf republikanischen Abgeordneten einen Skandal, als sie zwei Stunden lang die Bühne beherrschten. Sie belästigten und beleidigten Havel, nannten ihn einen Lügner, einen kommunistischen Agenten, einen Raucher, einen Biertrinker und Lakaien der Deutschen. Angesichts der Anwesenheit der Republikaner im Parlament und der immer stärker werdenden konservativen Färbung der tschechischen Republik fürchten viele ehemalige Dissidenten eine erneute Einschränkung der Menschenrechte. „Unsere zweijährige Schonfrist ist vorüber“, erklärt Samtková. „Ministerpräsident Václav Klaus und seine konservative Partei ODS interessieren sich nicht für Minderheitenfragen. Wenn etwas keinen unmittelbaren ökonomischen Vorteil bringt, ist es verzichtbar.“

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning