Von der Großdemo zum Stadtrundgang

■ Die Berliner Ostermarschierer erlebten in den achtziger Jahren den größten Zulauf / Harte Auseinandersetzungen mit Kritikern zur Zeit der Hochrüstung / Veranstalter erwarten 10.000 Teilnehmer

Berlin. Für manchen ist Ostern ohne ihn nicht mehr denkbar. Er ist zu einer liebgewonnenen Tradition geworden, gehört zu den Feiertagen, wie gefärbte Eier und Schokoladenhasen. Die Rede ist vom alljährlichen Ostermarsch der Friedensbewegung.

Bereits zum elften Mal sind die Friedensaktivisten auf Berliner Straßen unterwegs, die Beteiligung nahm zuletzt jedoch beständig ab. Die Veranstalter rechnen in diesem Jahr gar mit mehr auswärtigen Besuchern als mit Berlinern. Darum hat das Friedenskomitee, das den diesjährigen Marsch organisiert, auch eine Streckenführung durch das historische Berlin gewählt. Gilt der Ostermarsch demnächst nur noch als alternativer Stadtrundgang für ortsunkundige Touristen?

Schon häufiger ist die Bewegung, die bereits seit 35 Jahren existiert, totgesagt worden. Sie hat bisher jedoch immer noch den längeren Atem gehabt. Ihre Anfänge liegen in Großbritannien, wo sich 1958 der erste Ostermarsch von London in Richtung des Atomwaffenzentrums Aldermaston in Bewegung setzte. Begründer war die „Kampagne für Abrüstung“, die mit dem Protestzug auf die atomare Aufrüstung aufmerksam machen wollte. Der erste deutsche Ostermarsch wandte sich zwei Jahre später von Hamburg und Bremen aus gegen den Raketen- Übungsplatz Bergen Hohne.

In der Zeit der Hochrüstung marschierten Zehntausende

Die Berliner mußten sieben weitere Jahre warten, bis sich der erste Protestmarsch auf ihren Straßen formierte. Er wandte sich gegen die atomare Aufrüstung, die Notstandsgesetzgebung in der BRD und forderte das Kriegsende in Vietnam. Nach einem kurzen österlichen Protestflackern 1967, herrschte in den folgenden Jahren Funkstille in Berlin. Erst Anfang der achtziger Jahre wurde die Idee der Ostermärsche als Reaktion auf den Nato-Raketenbeschluß wiedergeboren. Das gesellschaftlich aufgeheizte Klima zeigte sich gerade im geteilten Berlin, in dem die verschiedenen Positionen besonders hart aufeinander prallten. Vorwürfe von konservativer Seite, die Bewegung sei kommunistisch unterwandert, waren an der Tagesordnung. Doch auch Organisationen wie der DGB übten heftige Kritik an den Ostermarschierern. Die Konfrontation um die Raketennachrüstung trieb in der Blütezeiten der Ostermärsche allein in Berlin mehr als 30.000 Menschen auf die Straße, um für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren.

Dissens über Sozialismus mit der DDR-Opposition

Auch in den Oppositionskreisen der DDR wurde die Entwicklung interessiert verfolgt. Teilweise beteiligte man sich mangels anderer Möglichkeiten, mit Unterschriftenlisten, an den Aktionen. Doch wurden auch bald die unterschiedlichen Positionen deutlich. Die Forderung der westlichen Friedensaktivisten, die Bewegung in der DDR dürfe nicht „antisozialistisch“ sein, sorgte für Differenzen, wie sich Wolfgang Templin erinnert. Für ihn eine unverständliche Forderung, denn: „Die DDR- Friedensbewegung mußte auch immer oppositionell sein.“

Gemeinsam marschiert wurde erstmals 1990, als der Demonstrationszug vom Ostteil der Stadt, über den damals noch existierenden Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße in den Westteil führte. Mit mehr als 10.000 Teilnehmern war er der letzte größere Protestmarsch. Der Tiefpunkt war im letzten Jahr erreicht, als die Beteiligung auf rund 3.000 Personen sank. Mit einer verkürzten Streckenführung wird versucht, die traditionelle Veranstaltung wieder attraktiver zu machen. Doch es scheint, als ob viele Berliner ihren Osterspaziergang lieber anders gestalten oder einen Kurzurlaub einlegen. Quo vadis, Ostermarsch? Hella Kloss

Treffpunkt zum Ostermarsch 1993 („Für Völkerständigung, Frieden und Toleranz“) ist am Montag um 14 Uhr auf dem Alexanderplatz