"Gute Ausbildung ist hier möglich"

■ Bloß nicht die OE versäumen, rät Uni-Präsident Jürgen Lüthje zum Studienanfang

zum Studienanfang

taz: Die Studienbedingungen sind schlecht, wie können sie da als Präsident dieser Uni den Studienanfängern einen guten Start wünschen?

Lüthje: Ich kann als Präsident der Universität die Bedingungen, unter denen wir arbeiten müssen, nicht einfach ändern. Diese Bedingungen sind zu einem erheblichen Teil die Konsequenz der Überlast, die die Universitäten seit 15 Jahren tragen müssen. Seit dieser Zeit hat sich die Zahl der Studienanfänger um die Hälfte, die Zahl der Studierenden annähernd um 100 Prozent erhöht. Selbst wenn man nur die Studenten innerhalb der Regelstudienzeit berechnet, kommt man auf eine Erhöhung um 70 Prozent. Dem steht gegenüber, daß die Personalausstattung in dieser Zeit praktisch konstant geblieben ist. Dieses Ausmaß der Verschlechterung kann weder die Universität noch der Präsident beeinflussen.

Jeder Dritte gibt sein Studium auf

taz: Nun hat das ja auch Folgen. In einigen Fächern brechen bis zu 50 Prozent der Studenten ab.

Lüthje: Das ist völlig richtig. Etwa ein Drittel der Studierenden verläßt die Universität ohne Abschluß, in einigen Fächern sogar fast die Hälfte. Wenn man dies so feststellt, dann liegt zunächst die Vermutung nahe, diejenigen, die abgebrochen haben, sind Versager. Oder aber die Universität hat versagt, weil sie diesen Menschen nicht die Möglichkeit gegeben hat, einen Abschluß zu machen. Beide Schlußfolgerungen sind so nicht haltbar. Inzwischen hat das Hochschulinformationssystem in Hannover eine hochinteressante Untersuchung über Studienabbruch herausgebracht. Zum Beispiel findet der größte Teil der Abbrecher unmittelbar eine berufliche Tätigkeit. Das heißt, sie gehen nach einem nicht beendeten Studium sofort ins Berufsleben, weil sie für sich entscheiden, daß ihnen ein sicherer Arbeitsplatz wichtiger ist als die Fortsetzung des Studiums.

taz: Man könnte also jetzt in eine Orientierungseinheit für Studienanfänger (OE) gehen und jedem Zweiten oder Dritten sagen, du wirst es wohl nicht zu Ende machen.

Lüthje: Was heißt das denn, 'Du wirst es nicht zu Ende machen?‘ Studienabbrecher haben nicht das ursprünglich angestrebte Studienziel erreicht. Aber diejenigen, die beispielsweise nach bestandener Zwischenprüfung aus einem nicht abgeschlossenen Studium unmittelbar in einen Beruf gehen, haben doch nicht nichts gelernt. In den meisten Fällen haben sie durchaus eine wissenschaftliche Grundbildung erworben. Natürlich halte auch ich es für besser, wenn die Studierenden den Studiengang abschließen. Ich will das überhaupt nicht schönreden. Aber ein Studienabbruch ist eine Entscheidung der Studierenden. Das sind erwachsene Menschen. Sie entscheiden sich häufig für einen früheren Einstieg in den Beruf als ihn der Studienabschluß ermöglichen würde. Darüber müssen wir als Universitäten nachdenken. Ob wir solchen Studenten nicht Möglichkeiten geben müssen, die bis dahin erworbenen Qualifikationen belegen zu können und dafür auch ein Zertifikat zu bekommen.

1taz: Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen besonders schlechten Bedingungen, sprich niedrigen Curricular-Norm-Werten und besonders hohen Abbruchquoten.

Lüthje: Es ist evident, was Sie beschreiben.

taz: Man kann also nicht verleugnen, daß Studienabbruch auch durch Frust über schlechte Studienbedingungen verursacht wird.

Lüthje: Ja, bloß das kann man nicht der Universität vorwerfen. Die Mitte der 70er Jahre festgelegten Curricular-Norm-Werte beschreiben rechnerisch das Zahlenverhältnis zwischen den Studienanfängern und dem wissenschaftlichen Personal, das für sie zur Verfügung steht. Wenn der CN-Wert sehr niedrig ist, steht sehr wenig Personal für sehr viele Studierende zur Verfügung. Dann ist doch völlig klar, daß ein größerer Teil der Studierenden entscheidet, unter diesen Bedingungen das Studium nicht fortsetzen zu wollen.

taz: Gibt es denn eine Chance, daß die CN-Werte eines Tages wieder verbessert werden?

Lüthje: Der Wissenschaftsrat hat schon vor zehn Jahren gefordert, die CN-Werte um ein Viertel zu erhöhen. Die gleiche Forderung haben die Hochschulrektoren der Bundesrepublik seit vielen Jahren gestellt. Beide Forderungen wurden immer durch das Argument der Kultus- und Finanzminister verdrängt, die hohe Studentenzahl sei nur vorübergehend und mit dem sogenannten Pillenknick und der Überwindung des Studentenberges würden sich ohnehin die Studentenzahlen normalisieren und dann könne der Curricular-Normwert verbessert werden. Nun haben wir inzwischen erkannt, was ich immer gesagt habe: Daß diese Prognosen politisch gewollte Fehleinschätzungen waren und daß wir uns auf Dauer auf hohe Studentenzahlen einstellen müssen. Eine Erhöhung der Curricular-Normwerte würde jetzt bedeuten, daß man den Personalbestand der Hochschulen um ein Viertel erhöhen müßte. Das wären bundesweit 30000 zusätzliche wissenschaftliche Stellen. Ich sehe bisher nicht die Bereitschaft

der Politik, diese Konsequenz zu ziehen.

taz: Also kann man böswillig unterstellen, aufgrund der Uneinsichtigkeit der Bundesregierung ist Studienabbruch vorprogrammiert.

Lüthje: Das kann man nicht nur Bonn zuschieben. Das ist gemein-

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-same Verantwortung von Bund und Ländern. Gegenwärtig beobachten wir doch folgende Situation: alle sind sich einig, auch in der Politik, daß die Studienbedingungen schlecht sind. Aber in der Frage, wer denn nun sich aufrafft, dies zu verbessern, in dieser Frage schieben sich Bund und Länder den schwarzen Peter zu. Die Universitäten bleiben dabei auf der Strecke.

taz: In Hamburg gibt es ja nun ein Struktur- und Entwicklungskonzept (Steko), das die Universität verpflichtet, rund 100 durch Pensionierung freiwerdende Professorenstellen in andere Stellen umzuwandeln. Ist das hinnehmbar?

Fürs Steko bräuchten wir fünf Jahre mehr Zeit

Lüthje: Mittelfristig hilft das Steko der Universität ihre Personalstruktur zu verbessern, indem es 34 Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs vorfinanziert. Die Schwierigkeit für die Universität besteht nun aber darin, daß sie durch diese Umwidmung mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen soll: die Verbesserung der Personalstruktur im wissenschaftlichen Bereich, die Beseitigung der Defizite beim nichtwissenschaftlichen Personal, die Planung neuer Forschungsschwerpunkte und letztlich wird auch noch eine Verbesserung der Studienbedingungen erwartet.

Diese Ziele wird man nicht alle konfliktfrei verwirklichen können. Besonders schwierig wird es sein, die Vorgabe einzulösen, daß die Ausbildungskapazität nicht sinken darf. Um ein Beispiel zu nennen: die Umwandlung der rund hundert Professorenstellen in Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter bedeutet einen Verlust von 400 Semesterwochenstunden Lehrkapazi-

Nicht alle Seminare sind hoffnungslos überfüllt

tät. Das, was hier abgefordet wird, stellt hohe Anforderungen an die Universität. Ich halte den Zeitraum bis zum Jahre 2000 für zu kurz, weil der große Schub an Pensionierungen erst zwischen den Jahren 2000 und 2010 einsetzt. Deshalb erwartet die Universität, daß der zeitliche Spielraum für die abgeforderten Stellenumschichtungen bis dahin erweitert wird.

taz: Sie wären also mit dem Steko zufrieden, wenn das Ganze auf 20 Jahre gestreckt wird.

Lüthje: Nein. Zufrieden kann die Universität nicht sein, denn die Zahl der Stellen für die Studierenden bleibt gleich. Das eigentliche Ziel, durch neue Stellen die Studien- und Lehrbedingungen zu verbessern, wird ja nicht berücksichtigt.

taz: Gibt es denn irgendeine Idee, wie man dennoch die Bedingungen verbessern könnte? Beispielsweise, wenn die Uni selbst über ihren Haushalt verfügen könnte?

Lüthje: Ja. Wenn die Universität sehr viel stärker als bisher haushaltsrechtliche Beweglichkeit hätte — etwa wie es bei der TU-Harburg im Rahmen ihres Modellversuchs möglich ist — dann könnte die Universität durch gezielten Einsatz ihrer Mittel etwas verbessern.

taz: Zum Beispiel?

Lüthje: Zum Beispiel bei der Ausstattung von Vorlesungsräumen mit Mobiliar oder Medien.

taz: Wo wäre denn der Überfluß?

Lütje: In einem so großen Haushalt, wie ihn die Universität hat, kann man natürlich immer Prioritäten setzen. Das heißt nicht, daß wir irgendwo zuviel haben, sondern bestimmte Maßnahmen für noch wichtiger halten als andere. Dazu aber muß die Uni mehr Spielraum haben. Ein weiteres Beispiel: Die Universität muß jedes Jahr 14 bis 15 Millionen Mark Personalmittel einsparen, um die Einsparungsauflagen im Personalhaushalt zu erbringen. Das entspricht einer Zahl von 200 bis 250 Stellen, die für ein Jahr freigehalten werden müssen. Also eine enorme Kapazität, die der Uni zwar per Haushaltsplan be-

willigt, aber real eingespart wird.

taz:Was sagt das Steko dazu?

Lüthje: Es wird darauf hingewiesen, daß dieses Problem lösungsbedürftig ist, da die Stellen bei der Berechnung der Studienkapazität als besetzt berechnet werden. Die Lösung läßt auf sich warten.

Utopie: Jeder Professor betreut 20 Studenten

taz: Was raten Sie den Studienanfängern angesichts dieser Situation?

Lüthje: Ich denke, daß die Studienanfänger durchaus mit einem realistischen Bild von der Lage der Universitäten zu uns kommen und daß sie auch nicht erwarten, daß wir die Bedingungen schlagartig verbessern können. So wie ich die gegenwärtige Generation der Studierenden wahrnehme, haben sie einen sehr nüchternen und realistischen Blick von der Situation und sind bereit, aus der Lage das Beste zu machen. Auch unter diesen schwierigen Bedingungen kann man eine gute wissenschaftliche Ausbildung erlangen. Nicht alle Veranstaltungen, auch in den großen überlasteten Studiengängen, sind überfüllt. Es ist möglich, sich gezielt Seminare auszusuchen, in denen auch kleinere Gruppen arbeiten. Ganz wichtig, vor allem im Grundstudium, ist die Inanspruchnahme der Tutorienprogramme. Das ist eine Möglichkeit, in kleineren Gruppen gemeinsam zu lernen und sich zu orientieren. Ich denke, so schwierig es ist, mit den Professoren in Kontakt zu kommen, für Studienanfänger ist der Kontakt zu den nicht sehr viel älteren Tutor- Studenten eine echte Hilfe.

taz: Also ihr Tip an die Anfänger: versäumt bloß nicht die OE?

Lüthje: Ja genau. Eine weitere Möglichkeit, die diskutiert wird, ist die Einführung eines Mentorensystems nach angelsächsischem Vorbild. Das heißt, daß ein Wissenschaftler mit Lehraufgaben als Vertrauensperson benannt wird, als Gesprächspartner während des gesamten Studiums zur Verfügung steht. Allerdings setzt das voraus, daß man zu überschaubaren Gruppen, sagen wir mal pro Lehrperson 20 Studierende, kommt. Und da liegt die Schwierigkeit bei der Installation eines Mentorensystems in der Uni Hamburg. In einigen Fächern könnten wir eine solche Relation erreichen, aber in den großen Massenfächern wie BWL gibt es Zahlen, die weit über 100 liegen. Da macht ein Mentorensystem kaum Sinn.

Die Fragen stellte Kaija Kutter