Die Uni im Evaluations

■ -Fieber * 1993 ist das Jahr der Lehre / Ärger am ZFI / Studentische Lehrkritik bald in allen Fachbereichen?

/ Ärger am ZFI / Studentische Lehrkritik bald in allen Fachbereichen?

Welcher Student einer Geisteswissenschaft kennt es nicht, ein Seminar im zähen Referatestil: Der Professor verteilt zu Beginn des Semesters die Themen, dann lesen die Kommilitonen der Reihe nach ihre aus mühsam ergatterter Literatur zusammengetragenen Elaborate vor. Am Ende — und vielleicht in der Mitte — faßt der Professor noch einmal die Ergebnisse zusammen, ansonsten hält er den Mund oder läßt seinen Assistenen die 200 Seminarteilnehmer bei der Stange halten. Das Referats-Manuskript wird am Semesterende in einen Schein getauscht, viele Scheine ergeben ein Diplom. Das ganze nennt sich Studium.

Keine Frage, an der Qualität der Lehre gilt es einiges zu verbessern. „Der Forschung...Der Lehre...Der Bildung“ steht am Portal des altehrwürdigen Hauptgebäudes der Hamburger Universität. Ein Anspruch, so meinen viele, der nur sehr einseitig erfüllt wird. Während Forschung Geld und Anerkennung einbringt, wird die lästige Lehre gern an Dozenten und Assistenten delegiert oder aber — wie im obigen Referate-Beispiel — an die Studenten selbst.

Angeregt durch eine bundesweite Diskussion hat nun auch die Hamburger Hochschule das Jahr 1993 zum Jahr der Lehre erkoren. Anfang November soll es gar einen „Dies Academicus“ zum Thema geben, einen Tag, an dem alle sonstigen Veranstaltungen ausfallen und nur über die Art der Wissensver-

1mittlung geredet wird. Um die Aufwertung der Lehre zu signalisieren wurde Anfang des Jahres im Beisein des Unipräsidenten Jürgen Lüthje höchstselbst je eine Tagung von Lehrenden und Studierenden zum Thema abgehalten. Als vorläufigen

Noten für Professoren von 1 bis 5

Höhepunkt soll es Anfang Juli nochmal eine gemeinsame Tagung beider Gruppen geben. Das Beeindruckende, so Jürgen Lüthje, bei der Tagung der Lehrenden sei gewesen, daß am Ende jeder Teilnehmer eine ganz konkrete Veränderung vorgenommen habe. Seien es Absprachen zur gegenseitigen Hospitation der Seminare, zur Verschönerung der Räume oder aber die Einrichtung von Stammtischen für Professoren, die mit Lehrleistung Probleme haben.

Die Bewertung der Qualität der Lehre, gern auch zungenbrecherisch „Evaluation“ genannt, ist zur Zeit auch unter Studenten schwer in. Die Grüne Hochschulgruppe, Gewinner der letzten Asta-Wahlen, will gar das Asta-Wissenschaftsreferat durch ein Evaluations-Büro ersetzen. Der CDU-nahe RCDS hat letzten Herbst mit Unterstützung des Bildungsministeriums eine bundesweite Umfrage gestartet. Unter dem Motto „Prüf den Prof“ ließen sich an der Hamburger Uni in den Fachbereichen Jura, Medizin, Physik und Wirtschaftswissenschaften 40 Professoren mit Noten von 1

1bis 5 bewerten. Die Ergebnisse der Aktion, an der sich in Hamburg 3000 Studenten beteiligten, sollen Anfang des Semesters in einer Broschüre veröffentlicht werden — als Entscheidungshilfe für Studenten bei der Wahl ihres Professors.

Die Juso-Hochschulgruppe lehnt dagegen eine Evaluation in Form von Ranglisten streng ab. Es mache keinen Sinn, „wenn die Studierenden als Rache der Zukurzgekommenen den Prof mit schlechten Noten anpinkeln“, sagt der Juso-Hochschulexperte Jan Greve. Einer solchen Umfrage liege die Logik zu Grunde, zu sagen, es gehe auch ohne mehr Geld, wenn nur alle Beteilgten ihr Bestes tun.

Auch unter manchen Dozenten stößt die Bewertung der Lehrleistung auf Ablehnung. So ging die Sache am Zentralen Fremdsprachen Institut (ZFI) im allgemeinen Evaluations-Fieber gründlich schief: Wie auch am Fachbereich Jura hatte hier eine Gruppe von Studenten einen Fragebogen entwickelt, der sogar mit 18000 Mark als Pilot-Projekt von der Wissenschaftsbehörde gefördert wird. In der Umfrage sollten die Kommilitonen unter anderem kundtun, ob sie denn bei dem selben Dozenten wieder lernen wollten. Die Ergebnisse sollten öffentlich in der Bibliothek ausgehängt werden. Das Problem: am ZFI unterrichten zu 60 Prozent Lehrbeauftragte, deren Verträge von Semester zu Semester erneuert werden. „Wir haben extra festgelegt, daß nur Festange-

1stellte befragt werden“, verteidigt die geschäftsführende ZFI-Direktorin Juliane House die Aktion. Doch die Studenten hätten nicht gewußt, wer Lehrbeauftragter ist, und die Zettel falsch verteilt.

Auf einer Vollversammlung zum Semesterende schimpften die Dozenten von „Denunziation“, das Klima verschlechterte sich zusehends. So verteilten Dozenten einen Alternativfragebogen an Studenten: erste Frage: warum bist Du überhaupt hier? Antwortmöglichkeiten: weiß nicht/ weil es so schön warm ist. Inzwischen haben die Studenten die Aktion abgeblasen und einen „sehr lieben Brief“ (Juliane House) als Versöhnungsangebot an die Dozenten verfaßt.

Nach Meinung von Margret Bülow-Schramm, die vom IZHD aus die Bemühungen zur Verbesserung der Qualität der Lehre koordiniert, macht so eine studentische Lehrveranstaltungskritik keinen Sinn, wenn von sie oben verordnet wird. Auch wenn die Initiative am ZFI von Studenten ausgegangen sei, habe es doch durch die Unterstützung des Institutsrats so gewirkt.

Das IZHD hat bereits vor anderthalb Jahren fünf Vorschläge entwickelt, wie denn das Engagement für die Lehre erhöht werden könnte: darunter ein Freisemester für Profs, die ihre Seminare neu konzipieren wollen und ein Preis für die beste studentische Lehrveranstaltungskritik. Zwölf der insgesamt 20 Fachbereiche der Hamburger Uni haben reagiert und jetzt eine Stellungnahme dazu abgegeben. Der brisanteste Vorschlag, die Bewertung der Vorlesungen durch Studenten zu Beginn und zum Ende des Semesters, sei dabei nicht abgelehnt sondern im Gegenteil fachspezifisch präzisiert worden, berichtet Margret Bülow-Schramm. Wenn also der Akademische Senat Anfang des Semesters endlich über den fünf-Punkte-Katalog des IZHD befindet, könnte es sein, daß es an vielen Fachbereichen künftig eine institutionalisierte Form der Evaluation gibt. Allerdings, so Margret Bülow-Schramm, sei es wichtig, daß sich die Lehrenden freiwillig der Kritik unterziehen, denn sonst könnte die Sache leicht als Repression verstanden werden. Überhaupt komme es auf die vielen, vielen kleinen Schritte an.

Und die vielen, vielen Referate? Tatsächlich sei es schlecht, so Bülow-Schramm, wenn didaktische Formen erstarren. Auf besagter Tagung Anfang Juli habe man sich fest vorgenommen, auch darüber zu reden. Kaija Kutter

*Laut Duden: Beurteilung von Lehrplänen und Unterrichtsprogrammen