Die Winterhilfe hört auf, die Obdachlosigkeit nicht

■ Mitarbeiter von Wärmestuben tauschen ihre Erfahrungen aus: Gerade kleine Einrichtungen können viel für die Eigenstabilisierung der Wohnungslosen tun

Kreuzberg. Nachdem Herbert (Name von der Red. geändert) als Geschäftsführer eine Firma saniert hatte, verlor er mit der Stelle auch die Wohnung. Seit drei Jahren schläft der gelernte Feinmechanikder und Kaufmann auf der Straße oder bei Bekannten. Anfang des Jahres zog er in den Souterrain der Wilmersdorfer Auenkirchgemeinde. Sieben weitere obdachlose Männer sind hier untergekommen. „Dafür, daß hier so unterschiedliche Männer zusammenkommen, läuft es ganz gut“, sagt Herbert. „Man lernt, sich aufeinander einzulassen, und wird toleranter.“

Mitte April wird sich der arbeitslose Kaufmann wieder eine Parkbank suchen müssen. Denn wenn es Frühling wird, endet die Winterhilfe der Senatsverwaltung für Soziales. Mit ihr werden Notübernachtungen und Wärmestuben finanziert, um den Kältetod zu verhindern. Auf der Abschlußveranstaltung verschiedener Winterhilfeeinrichtungen am Dienstag in der Taborkirche wurden Erfahrungen und Perspektiven ausgetauscht.

„Wir sind auch im Sommer obdachlos. Wir werden auch auf der Parkbank krank“, beklagte Dieter. Hunger und Gewalt machen genausowenig vor lauen Temperaturen halt. Pfarrer und Sozialarbeiter forderten daher Übernachtungs- und Aufenthaltsmöglichkeiten auch im Sommer. Gerade kleine und dezentrale Projekte, wie sie mehrere Kirchengemeinden organisieren, gehen oft über die reine Kältehilfe hinaus. Die relativ festen Gruppen haben auch eine stabilisierende Funktion. „Wenn diese Ersatzfamilien zerbrechen, ist der Absturz vorprogrammiert“, sagte Pfarrer Joachim Ritzkowski.

Die Auenkirchgemeinde hatte ihr Angebot auch nur als Überlebenshilfe gedacht. Ein Jugendraum wurde für fünf Monate zur Verfügung gestellt, die Gemeinde beteiligte sich mit Spenden an der Einrichtung. Der Senat zahlte die Verpflegung und die Honorare der BetreuerInnen. „Wir stellten aber schnell fest, daß zum Überleben mehr gehört als ein Bett und etwas zu essen“, meinte Koordinator Robert Veltmann. Viele Obdachlose hatten keine Papiere mehr und erhielten keine Sozialhilfe, andere waren seit Jahren nicht mehr beim Arzt. Der geschützte Raum und die Unterstützung der Betreuer machte diese Schritte möglich. Sieben der insgesamt 33 betreuten Männern konnten sogar in ein Wohnprojekt oder eine Wohnung vermittelt werden.

In der Notübernachtung wird jeden Abend gemeinsam gekocht. Einer der Bewohner übernimmt die Rolle des Chefs de la Cuisine. Andere können während der Zeit duschen oder sich rasieren. Nach dem Essen wird gespielt oder geredet. Innerhalb der Gruppe gelten drei eiserne Regeln: kein Alkohol und keine Drogen, keine Gewalt und einen sogenannten Läuseschein. „Wer sich daran halten konnte, konnte auch Aufgaben in Eigenverantwortlichkeit wahrnehmen“, sagte Veltmann. In der Gruppe konnten die Bewohner wieder Erfahrungen mit Gemeinschaft, Konfliktlösungsstrategien und Verläßlichkeit machen. Gerade bei schwierigen Fällen reichen die wenigen Monate jedoch nicht aus, um jemanden längerfristig zu stabilisieren. „Bis zum nächsten Winter ist alles verloren.“

Auch Staatssekretär Armin Tschoepe von der Senatsverwaltung für Soziales befürwortete in der Taborkirche die Fortsetzung. „Wir werden das in der Senatsverwaltung diskutieren.“ Corinna Raupach