Knappe Termine beim Fahrraddoktor

■ Jeden Frühling sind die Werkstätten überfüllt / Nach der Handwerksordnung dürften die meisten Fahrradbetriebe nur Kleinstreparaturen ausführen

Kaum bricht der erste Frühlingssonnenstrahl durch die Wolken, müssen die Berliner Fahrradgeschäfte Reparaturtermine vergeben. Wer kein fahrtüchtiges Zweitrad besitzt, kann sich auf ein bis zwei Wochen Wartezeit gefaßt machen. Schuld daran sind nicht nur die Kunden, die ihr kaputtes Bike partout in der Hochsaison zur Reparatur bringen müssen, sondern auch der Mangel an Fachkräften. „Wenn ich jetzt eine Arbeitskraft suche, habe ich nur eine sehr kleine Chance, einen gelernten Fahrradmechaniker aufzutreiben“, sagt Cornelia Beckmann, Geschäftsführerin des Schöneberger „Zweiradladens“.

In ganz Deutschland gibt es etwa viereinhalbtausend Fahrradläden. Die Zahl von 128 Menschen, die 1992 die Meisterprüfung für Zweiradmechaniker bestanden, ist dagegen ziemlich klein, zumal ein Großteil dieser Meister sich auf Motorräder spezialisiert hat. In Berlin gibt es zur Zeit nur sechs Lehrlinge. In der Berufsschule sitzen sie mit den Kfz-Mechanikern zusammen, denn Fahrrad und Motorrad werden in der Zweiradmechaniker-Ausbildung – die erst 1989 geordnet wurde – gleichrangig unterrichtet. „Deshalb ist diese Ausbildung auch einfach nicht gut“, erklärt Ulrike Saade, Geschäftsführerin des Verbundes selbstverwalteter Fahrradbetriebe (VSF), in dem sich etwa hundert Geschäfte zusammengeschlossen haben. „Alle beklagen sich, daß der Nachwuchs nicht genügend qualifiziert sei.“

Der VSF hatte darum einen Fortbildungslehrgang konzipiert, in dem der Schwerpunkt auf der Fahrradtechnik liegen sollte. Langjährige Mitarbeiter von Fahrradläden, die trotz ihrer praktischen Kenntnisse keine offizielle Qualifikation nachweisen können, sollten darin auf die Gesellenprüfung vorbereitet werden. Das Projekt konnte jedoch nicht verwirklicht werden, weil Handwerkskammer und Bundesinnungsverband für das deutsche Zweiradmechaniker-Handwerk (BIV) sich weigerten, die Prüfung abzunehmen.

„Das Ausbildungssystem, das wir haben, reicht völlig aus“, meint Manfred Rütten, Geschäftsführer des BIV, dem der Verbund selbstverwalteter Fahrradbetriebe für diese Haltung den „Rostigen Ritzel 1992“ verliehen hat. „Schließlich steht es ja jedem frei, sich nach der Prüfung noch auf Fahrräder zu spezialisieren.“ Obwohl Rütten das niemandem raten würde: „Leute, die das machen, haben die wirtschaftliche Entwicklung verpaßt. In jedem Haushalt stehen durchschnittlich vier Fahrräder – der Boom ist vorbei.“

„Die Nachfrage und der Bedarf sind da“, meint dagegen Ulrike Saade. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Forum Berufsbildung hat der VSF jetzt einen Umschulungslehrgang organisiert, der zum Einzelhandelskaufmann im Fahrradfachhandel ausbildet. Auch Fahrradtechnik steht auf dem Lehrplan. Dennoch dürfen die Absolventen des Lehrgangs später nur Kleinstreparaturen ausführen, zum Beispiel Ketten auswechseln oder Birnen ersetzen. Denn die Handwerksordnung erlaubt es nur Meisterbetrieben, kompliziertere Reparaturen auszuführen.

Den Anteil von Meisterbetrieben an Berliner Fahrradgeschäften schätzt Ulrike Saade jedoch auf „höchstens zwanzig Prozent“. Natürlich beschränken sich die übrigen Geschäfte nicht auf die Arbeiten, die sie bei strenger Einhaltung der Handwerksordnung ausführen dürften. Auch in einem Meisterbetrieb werden schließlich nicht alle Reparaturen vom Meister selbst ausgeführt. „Wer zehn Jahre Fahrrad gefahren ist, der kann auch fast alles daran wieder in Ordnung bringen“, findet Cornelia Beckmann. Das meint auch Bernhard Hartmann vom Schöneberger „Fahrradbüro“: „Es kommt nicht auf den Meisterbrief an, sondern auf Verantwortungsgefühl.“

Das ändert jedoch nichts daran, daß Reparaturen von Autodidakten – sobald sie über das Anschrauben von Klingeln hinausgehen – als Schwarzarbeit gelten. Mehr als die Hälfte aller bundesdeutschen Fahrradläden müßte deshalb damit rechnen, angezeigt zu werden. Trotzdem spielen sie munter weiter den Fahrraddoktor. Sonst kämen Fahrräder zur Hochsaison nämlich nicht schon nach einer Woche wieder auf den Damm, sondern erst nach drei Monaten. Miriam Hoffmeyer