Gibt es ein Leben ohne EinsPlus?

■ Eine Bestandsaufnahme des ARD-Kulturkanals vor der Entscheidung der Intendanten über eine mögliche Abwicklung

Wir befinden uns im Jahre acht nach der Einführung des privaten Rundfunks in Deutschland. Die ganze Fernsehlandschaft ist von hektischen Bildern, bunten Clips und technischen Tricks erfaßt... Die ganze Fernsehlandschaft? Nein! Eine kleine Kolonie Unentwegter hört nicht auf, den modernen Einflüssen Widerstand zu leisten. Woche für Woche versammeln sich rund 270.000 ZuschauerInnen vor EinsPlus, um „Klassiker der Unterhaltung“ zu erleben: Helga Feddersen 1964 in „Show hin – Schau her“, Roy Black 1979 in „Flotte Formen – Kesse Kurven“ oder auch einen frühen Heinz Schenk in Karnevalssendungen aus den 70ern.

Das Publikum ist etwas Besonderes: Neben älteren Fans, die in schwarzweißen Erinnerungen schwelgen, sitzen vor allem kleine Gruppen junger Freaks vor dem Schirm, die die Reihe als Kult verehren. Sie sorgen zwar nur für Einschaltquoten im mittleren Bereich, aber mit Briefen und Anrufen beim Sender für Rekordwerte in bezug auf die unmittelbare Resonanz. Und vor allem: Sie sind diejenigen, die EinsPlus bei einer Umgestaltung des Programms wirklich vermissen würden, wie Programmkoordinator Christian Blankenburg meint. Am Sonntag entscheiden die ARD-Intendanten darüber, ob der Kultur- in einen Nachrichtenkanal umgewandelt oder mit dem Konkurrenten 3sat verschmolzen wird.

Die Vision „Stell Dir vor, Eins Plus wird aufgelöst, und keiner merkt's“ ist so abwegig nicht. Den mittleren Zuschaueranteil gibt der Sender mit 1,2 Prozent an. Rein statistisch ergibt sich eine durchschnittliche Sehdauer von zwei Minuten täglich – die sich vermutlich allein durch zufälliges Zappen mit der Fernbedienung erreichen ließe. Doch der starre Blick auf Quoten ist kein faires Kriterium für ein Programm, das „wechselnde Minderheiten“ bedienen will. Die Zuschauergemeinde sei zwar klein, aber sehr zufrieden und überdurchschnittlich gut gebildet, meint Blankenburg. Wer das Programm erst einmal gefunden habe, werde meist zum Stammseher. Und gerade der Empfang der öffentlich-rechtlichen Kulturprogramme sei ein Motiv, sich einen Kabelanschluß zuzulegen.

Kulturprogramm? In die Schlagzeilen kam der Sender in der Regel nur als „Wiederholungsprogramm“. Seit der Gründung 1986 wurde jede Programmreform damit begründet, jetzt aber doch endlich vom Image wegzukommen, der Recycling-Sender der ARD zu sein. Schon zum fünfjährigen Jubiläum hatte WDR-Intendant Nowottny angekündigt, daß sich Eins Plus vom Wiederholungs- zum Überraschungsprogramm entwickeln werde. Doch die aktuelle Diskussion über die Zukunft des Senders beruht wieder darauf, vom „angestaubten Image“ durch Aktualität wegzukommen.

Für ein „Überraschungsprogramm“ dürfte die Frage „Was senden wir denn mal nächste Woche?“ bei den MacherInnen von EinsPlus aber ziemlich einfach beantwortet werden können. Rund sechs Stunden wöchentlich sind zum Beispiel fest verplant für die Wiederholungen der ARD-Talk- Shows, fast acht weitere gehen automatisch für die Übernahme oder Wiederholung aktueller politischer Sendungen des Ersten Programms drauf. Alles jeweils eingerahmt von täglich rund zwölf Stunden Programmvorschau, dreist „Pluspunkte Nonstop“ genannt.

Seit die meisten Dritten über Kabel und Satellit zu empfangen sind, sind aus vielen regionalen Sendungen, die einmal als bundesweites Zusatzangebot auf Eins Plus ausgestrahlt wurden, praktisch auch nur Wiederholungen geworden. Für Christian Blankenburg sind die jedoch ganz im Interesse der ZuschauerInnen. Wer am Freitag abend schon was vorhat, sei eben froh, am Montag noch mal die Gelegenheit zu haben, eine kontroverse Talk-Show zu sehen. „Komplementärfunktion“ nennt er das und freut sich, so der ARD auch weniger „Binnenkonkurrenz“ zu machen.

Die Hoffnung, via EinsPlus Kultur in die theaterlose Provinz zu bringen, hat sich nur eingeschränkt erfüllt. Spitzenquoten erreicht nämlich vor allem das, was Blankenburg mit dem Begriff „massenattraktive Kultur“ von der „Reinkultur“ unterscheidet: die „Golden Girls“ zum Beispiel, die auf EinsPlus noch einmal wiederholt werden, um die Lizenz auszunutzen, oder alte Krimis, von Durbridge oder aus der „Tatort“-Reihe.

Blankenburgs Feststellung, daß Fernsehen doch in erster Linie ein Unterhaltungsmedium ist, bekommt so einen bitteren Unterton. Auch wenn das bei der Konkurrenz nicht anders aussieht: Das ZDF nudelt auf 3sat seine alten Drombusch- und Landarzt- Folgen ab – und angestaubte Showsendungen. Für die „Fan- und Freakgemeinde“, wie Blankenburg deren Liebhaber nennt, gibt es also Hoffnung, auch in Zukunft auf ihre Kosten zu kommen. Schließlich lagern Berge von „Schätzen“ (Blankenburg) aus 40 Jahren ARD-Programm im Archiv – eine hervorragende Grundlage für viele „schöne alte Wiederholungen“, wie der Programmplaner meint. So, wie er das sagt, klingt es nicht mal wie eine Drohung. Stefan Niggemeier